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Studie zu Sicherheitsstrategie Ohne Sicherheit kein Kompromiss mit der Ukraine

Den besten Schutz vor Russland böte ein Nato-Beitritt. Das ist vorerst unrealistisch. Was wäre die zweitbeste Lösung für eine vorläufige Sicherheitsstrategie?

In Davos, Washington, Brüssel, vor wenigen Tagen in Ramstein – nimmermüde repetiert der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski: «Unser Land hat auch dank westlicher Unterstützung der russischen Aggression so lange getrotzt – es wäre verrückt, jetzt aufzugeben.»

Als Mindestforderung seines Volkes formuliert er: «Es ist für niemanden akzeptabel, wenn die Heimat von der Landkarte getilgt wird.» Will heissen: Kompromissbereitschaft ja, sofern am Ende eine souveräne Ukraine in sicheren Grenzen überlebt.

Cepa-Studie lotet Optionen aus

«Auf Dauer gibt es dafür keine bessere Absicherung als eine Nato-Mitgliedschaft», sagt Ilya Timtchenko, einer der beiden Hauptautoren der umfassenden Sicherheitsstrategie für die Ukraine von der US-Denkfabrik Center for European Policy Analysis (Cepa). Mit US-Präsident Trump rückt ein Beitrittsangebot indes noch weiter in die Ferne. Das aber dürfe keine Ausrede dafür sein, nichts zu tun.

Die bilateralen Sicherheitsabkommen zwischen Nato-Staaten und Ukraine sind zwar nützlich, aber primär Absichts- und Solidaritätserklärungen.
Autor: Ilya Timtchenko Co-Autor, Cepa-Sicherheitsstudie

Bloss was? Timtchenko: «Die bilateralen Sicherheitsabkommen zwischen Nato-Staaten und der Ukraine sind zwar nützliche Schritte. Doch es sind primär Absichts- und Solidaritätserklärungen. Hingegen fehlen darin formelle Beistandsverpflichtungen wie im Artikel fünf der Nato-Satzung.»

Stationierung westlicher Truppen?

Allzu viel Hoffnung setzt die Studie auch nicht auf vage Überlegungen zur Stationierung westlicher, etwa französischer, Truppen auf ukrainischem Boden. Darüber werde in den nächsten Monaten intensiv diskutiert werden. Doch was sollen solche Militäreinheiten tun dürfen? Etwa auch Kampfeinsätze führen?

Die Führung in Kiew solle nicht dauernd bangen müssen, dass wegen politischer Launen und Widerstände die Unterstützung aufhört.
Autor: Ilya Timtchenko Co-Autor, Cepa-Sicherheitsstudie

Entscheidend wären laut Timtchenko «langfristige, verbindliche Zusagen, finanzielle und militärische». Die Führung in Kiew solle nicht andauernd bangen müssen, dass wegen politischer Launen die Unterstützung aufhört. Dies trüge zur Zuversicht im ukrainischen Volk und den Streitkräften bei und würde Moskau signalisieren, dass die Ukraine nicht wegen wachsenden Ukraine-Müdigkeit fallengelassen wird.

Mehr Abwehrwaffen

Dringend nötig wären zudem viel mehr Abwehrwaffen zum Schutz von Bevölkerung und Infrastruktur. Die Ukraine braucht einen «Iron Dome», einen verlässlichen Abwehrschirm analog zu Israel.

Und weil die Ukraine niemals gleich viele Soldaten ins Gefecht schicken kann wie Moskau, muss sie technologisch überlegen sein, so Timtchenko: «Das erfordert eine weiter intensivierte Rüstungszusammenarbeit wie etwa zwischen der deutschen Rheinmetall und der ukrainischen UDI, die jedoch massiv ausgebaut werden müsste.»

Die russischen Rüstungsbetriebe produzieren in drei Monaten so viel Munition wie sämtliche Nato-Staaten in einem Jahr.
Autor: Ilya Timtchenko Co-Autor, Cepa-Sicherheitsstudie

Dasselbe gelte bei der Munition: Russlands Wirtschaft, so Ilya Timtchenko, entspreche nur etwa jener der Benelux-Staaten: «Doch die russischen Rüstungsbetriebe produzieren in drei Monaten so viel Munition wie sämtliche Nato-Staaten in einem Jahr.» Für den Westen wäre die Ukraine auch als ehemalige sowjetische Waffenschmiede ein idealer Standort für die Herstellung relativ günstiger, aber hochwertiger Rüstungsgüter.

Selenski.
Legende: Der ukrainische Präsident Selenki am 21. Januar 2025 am WEF: «Wir wollen den Krieg in diesem Jahr beenden, aber nicht nur mit dem Wort schnell, sondern gerecht, zuallererst auf tragfähige Art, dass Ukrainer nach Hause zurückkehren können, dass sie in Sicherheit leben und arbeiten können.» Keystone/Michael Buholzer

Die Sicherheitsstrategie hat drei Hauptanliegen: Die Ukraine soll kurzfristig als Staat überleben. Sie soll Schritt für Schritt imstande sein, der Nato beizutreten, falls irgendwann die Zeit politisch reif ist. Und sie soll im entscheidenden Informationskrieg Siege erringen. Erst wenn Russland überzeugt ist, dass sie Ukraine nicht unterjochen kann, wird ein Arrangement zwischen Moskau und Kiew denkbar.

Echo der Zeit, 21.01.2025, 18 Uhr; stal

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