Derzeit treffen sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin in Sotschi. Sie beraten über eine gemeinsame Linie in Syrien, vor allem in den nordsyrischen Kurdengebieten nach der türkischen Offensive.
«Sie werden versuchen, verschiedene Dinge unter einen Hut zu bringen», erklärt Thomas Seibert, Journalist in der Türkei. Ankara will eine Pufferzone in Syrien schaffen, um dort zwei Millionen Flüchtlinge anzusiedeln. Dafür muss es die Kurdenmiliz YPG zurückdrängen. Moskau wiederum will keine dauerhafte Präsenz der Türkei im Land.
Dazu kommt: Am Abend läuft der fünftägige Waffenstillstand aus, der zwischen der Türkei und den USA vereinbart worden war. Erdogan kündigte vor seiner Reise an, dass sich in Sotschi entscheiden werde, wie es mit der Waffenruhe weitergeht.
Aus Sicht von Erdogan ist Putin ein verlässlicher Partner. Das kann er von US-Präsident Trump nicht sagen, der sehr sprunghaft agiert.
Doch wie kann der gordische Knoten gelöst werden? «Es wird erwartet, dass Putin seinem Gast eine begrenzte Präsenz in Nordsyrien fürs erste erlauben wird», prognostiziert Seibert. Zudem dürfte es im Interesse Russlands sein, die Wogen zwischen Erdogan und Assad zu glätten.
Beobachter rechnen damit, dass der Kreml erreichen will, dass Syrer und Türken zusammen die türkische Grenze zu Syrien sichern. Gelingt es Putin, Erdogan und Assad an den Verhandlungstisch zu bringen, «wäre das ein grosser diplomatischer Coup für Russland», sagt Seibert. Erdogan lehnte bisher jede Zusammenarbeit mit der Assad-Regierung ab.
Putin und Erdogan treffen sich bereits zum achten Mal. Die beiden können offenbar gut miteinander. Seibert weiss, warum: «Aus Sicht von Erdogan ist Putin ein verlässlicher Partner. Das kann er von US-Präsident Trump nicht sagen, der sehr sprunghaft agiert.»
Hoffnung für Syrien?
Zudem ist die Türkei für Putin ein Hebel gegen den Westen. In den letzten Jahren hat das Verhältnis der Türkei zur Nato und dem Westen generell arg gelitten. Unter gütiger Mithilfe des Kremls: «Putin hat das gute Verhältnis zu Erdogan dazu benutzt, die Türkei langsam aber sicher aus ihrer Westbindung herauszulösen», berichtet Seibert.
In Syrien möchte Putin das Assad-Regime wieder voll und ganz installieren – auch im Norden, der in weiten Teilen von den Kurden kontrolliert wird. Dafür ist er auf die Türkei angewiesen. «Deswegen wird Putin versuchen, Erdogan und Assad zusammenzubringen.» Erdogan wiederum weiss, dass er vom Wohlwollen Russlands abhängig ist.
Eine Variante, die vor dem Treffen gehandelt wird: Putin könnte Erdogan vorschlagen, die kurdische Miliz YPG in die syrischen Streitkräfte zu integrieren: «Damit könnte Moskau argumentieren, dass die Kurdenkämpfer keine Bedrohung mehr für die Türkei darstellen, weil sie der Disziplin der syrischen Armee unterworfen wären.»
Letztlich haben die Türkei und Russland ein gemeinsames Interesse: die Amerikaner aus Syrien herauszudrängen. «Russland möchte sich in Syrien als neue Ordnungsmacht im Nahen Osten etablieren. Die Türkei will, dass die USA Syrien verlassen, weil sie bisher die Schutzherren der Kurdenmiliz YPG waren.»
Ein Lösungspaket für den Syrien-Konflikt erwartet Seibert vom heutigen Treffen zwar nicht. Dafür sei die Gemengelage zu komplex und die Interessen zu unterschiedlich. Aber das Treffen könnte ein Anfang für die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und der Assad-Regierung sein: «Und das würde den Syrien-Konflikt nachhaltig verändern.»