In Kilinochchi, einer Stadt im tamilischen Norden Sri Lankas, treffen sich seit Jahren jeden Monat rund ein Dutzend Frauen, um gegen das Vergessen zu demonstrieren. An eine Wand haben sie Fotos ihrer Liebsten gepinnt. Die meisten Fotos sind verblichen. Jogarasa Kanakarangini wartet seit Mai 2009 darauf, ihren Sohn Amalan noch einmal in die Arme zu schliessen. «Amalan hat im Bürgerkrieg mit den Tamil Tigers für einen unabhängigen Tamilenstaat gekämpft, sich aber sofort nach der Niederlage ergeben», sagt sie. «Da war er 22.»
Amalan ist einer von Zehntausenden Tamilinnen und Tamilen, die seit dem fast 30-jährigen Bürgerkrieg verschwunden sind. Nicht nur frühere Kämpfer, auch viele Zivilistinnen und Zivilisten werden noch immer vermisst. Die Angehörigen haben keinerlei Hinweise, wo sie geblieben sind.
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Bild 1 von 4. Einmal im Monat versammeln sich die Mütter und Ehefrauen vermisster Tamilen in einer kleinen Garage in der Stadt Kilinochchi im Norden der Insel. Bildquelle: SRF/Maren Peters.
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Bild 2 von 4. Das tamilisches Bauernpaar Selvasundaram und Parameswary. Ihr Sohn Vinot ist während des Bürgerkrieges einfach verschwunden. Er tauchte nie mehr auf. Bildquelle: SRF/Maren Peters.
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Bild 3 von 4. In der Garage in Kilinochchi erinnern unzählige Fotos an die vielen vermissten Menschen. Die Regierung verspricht seit Jahren Aufklärung. Bildquelle: SRF/Maren Peters.
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Bild 4 von 4. Auch diese alte Frau weiss nicht, wo ihr Sohn geblieben ist. Viele Angehörige sind inzwischen gestorben. Bildquelle: SRF/Maren Peters.
«Unsere Kinder haben nur gekämpft, weil sie diskriminiert wurden», sagt Jogarasa Kanakarangini. Doch in den Augen der singhalesisch dominierten Regierung Sri Lankas sind die tamilischen Vermissten Terroristen. Sie hätten einen tödlichen Unabhängigkeitskampf gegen den rechtmässigen Staat geführt. Die separatistische Gefahr sei noch immer nicht gebannt. Die Kontrolle der tamilischen Minderheit mithilfe von Militär und Geheimdiensten sei daher gerechtfertigt.
Keine Versöhnung, keine Aufklärung
So sieht das auch der singhalesische Politiker und Sicherheitsexperte Sarath Weraseekara. «Wir haben jetzt Frieden im Land. Aber einige Landesteile wollen sich immer noch abspalten. Das werden wir nie erlauben. Darum sind wir ständig in Alarmbereitschaft – im Interesse des ganzen Landes.»
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Bild 1 von 5. Die letzten Wochen und Monate des Bürgerkriegs waren besonders blutig. Weltweit ging die Diaspora auf die Strasse und demonstrierte gegen das Vorgehen der Armee in Sri Lanka, so auch in Genf. (04.02.09). Bildquelle: KEYSTONE/Martial Trezzini.
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Bild 2 von 5. Die Armee hingegen feierte die Niederschlagung der tamilischen Truppen. (Bild: Armeesoldat vor einer Wandmalerei der Tamil Tigers in Mullaitivu, 27.01.09). Bildquelle: AP Photo/Gemunu Amarasinghe.
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Bild 3 von 5. Auch in den Strassen der Haupstadt Colombo feierten Menschen die Niederschlagung der Tamil Tigers durch die Armee. (18.05.09). Bildquelle: AP Photo.
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Bild 4 von 5. In den mehrheitlich von Tamilen bewohnten Gebieten waren die Tamil Tigers zuvor omnipräsent. (Bild: Strassenplakate im Nordosten des Landes, 22.04.07). Bildquelle: AP Photo/Gemunu Amarasinghe.
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Bild 5 von 5. Nach dem Ende der Kämpfe reiste der damalige UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon nach Sri Lanka und traf sich mit Staatspräsident Mahinda Rajapaksa. (23.05.09). Bildquelle: EPA/Sri Lankan President Media Division.
Tausende der Vermissten hätten sich ins Ausland abgesetzt und Asyl beantragt, behauptet der frühere Marine-Chef, ohne das belegen zu können. «Weil sie nicht zurückwollen nach Sri Lanka, sammeln sie im Ausland Geld für einen neuen Krieg», sagt der einflussreiche singhalesische Politiker.
Die UNO belässt es bei Berichten
Gajendrakumar Ponnambalam hört das mit Sorge. Er ist Präsident der tamilischen nationalen Volksfront – eine politische Allianz, die die tamilische Minderheit im Parlament vertritt. Er kämpft für einen föderalen Staat, in dem alle ethnischen Gruppen gleiches Gewicht haben. Er sagt: «Das heutige Sri Lanka ist ein rassistischer Staat.»
Kein singhalesischer Führer sei auf die Wählerstimmen der tamilischen Minderheit angewiesen, sagt Ponnambalam. «Für die singhalesische Mehrheit sind Tamilen entbehrlich.» Auch deshalb habe die Regierung kein Interesse an Rechenschaft und Versöhnung, auch nicht 15 Jahre nach dem Krieg.
Für die Angehörigen der Vermissten wie Jogarasa Kanakarangini sind das keine guten Nachrichten. Sie wollen einfach nur ihre Kinder und Ehemänner zurück. Sie fühlen sich aber von ihrem Land und der Welt im Stich gelassen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als ihre Anliegen selbst zur internationalen Gemeinschaft zu tragen.
«Fünf Mal bin ich schon nach Genf gereist, um vor dem UNO-Menschenrechtsrat auf Amalan und die vielen anderen aufmerksam zu machen», sagt seine Mutter Jogarasa. Genützt habe es nichts. Der UNO-Menschenrechtsrat veröffentlicht zwar regelmässig kritische Berichte zur Menschenrechtslage in Sri Lanka, aber dabei ist es bisher geblieben. Trotzdem will Jogarasa Kanakarangini die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrem Sohn nicht aufgeben.