Aussenminister Ignazio Cassis ist unterwegs, um breite Unterstützung für den geplanten Ukraine-Friedensgipfel in der Schweiz zu suchen. Die Sache erweist sich zäh. Thomas Greminger ist Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik. Zuvor war er Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Er pflegt gute Kontakte in westliche Hauptstädte, zur Nato, aber auch nach Moskau. Der Schweizer Sicherheitsexperte über die Chancen der diplomatischen Offensive der Schweiz.
SRF News: Ist die Zeit tatsächlich reif für ein Ukraine-Spitzentreffen?
Thomas Greminger: Wenn Sie sich unter Friedensgipfel den Abschluss eines Verhandlungsprozesses vorstellen, an dem feierlich ein Waffenstillstands- oder gar ein Friedensvertrag unterzeichnet wird – dann ist das viel zu früh. Wenn das Ziel ist, möglichst viel politischen Support für Schlüsselelemente von Präsident Selenskis Friedensplan zu generieren, könnte das durchaus funktionieren.
Wie sehen Sie die Chancen, dass dies gelingen könnte? Aussenminister Cassis hat sich in New York mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow getroffen. Nun war er zu Besuch in China. Die Signale nach den Treffen waren nicht gerade ermutigend.
Es wird schwierig sein, insbesondere diese inklusive Mobilisierung zustande zu bringen. Ich bin eher skeptisch. Vor allem im globalen Süden herrscht die Auffassung vor, dass Selenskis Friedensplan ein westlich inspiriertes Vorhaben ist. Man will sich damit nicht vollständig identifizieren – obwohl man die russische Aggression gegen die Ukraine ganz klar ablehnt.
Was qualifiziert gerade die Schweiz dafür, eine solche Initiative zu ergreifen?
Die Schweiz hat das Vertrauen der Ukraine und verfügt über eine hochprofessionelle Diplomatie. Sie hat Zugang zu allen relevanten Akteuren, inklusive im globalen Süden. Gerade dort hilft der Umstand, dass die Schweiz weiterhin als neutral und unparteilich wahrgenommen wird. Die Schweiz hat ein kompensatorisches Bedürfnis, weil sie die Ukraine militärisch nicht unterstützen darf. Deswegen hat sie ein Interesse, die Ukraine politisch möglichst umfassend zu unterstützen.
Man darf sich keine Illusionen bezüglich einer möglichen Vermittlung der Schweiz in einem solchen Konflikt machen.
Russland betont immer wieder, dass es die Schweiz nicht als neutral betrachtet. Dies sagte jüngst auch Aussenminister Lawrow bei seinem Treffen mit Cassis.
Russland bezeichnet die Schweiz als unfreundliches Land. Wenn die Russen aber ein Interesse daran haben, für eine formelle oder informelle diplomatische Veranstaltung in die Schweiz zu kommen, dann tun sie das auch, wenn es für sie Sinn macht. Man darf sich aber keine Illusionen bezüglich einer möglichen Vermittlung der Schweiz in einem solchen Konflikt machen. Ich gehe auch davon aus, dass die in diesen Konflikt involvierten Parteien keinen klassischen Vermittler anrufen werden.
Die Schweiz kommt als Vermittlerin nicht infrage, ebenso wenig wie der Vatikan, Brasilien und weitere Länder, die sich dafür ins Spiel gebracht haben.
Das sehe ich auch so. Es kann sein, dass einzelne staatliche Akteure Beiträge leisten können, um eine Partei an den Verhandlungstisch zu bringen oder eine Verhandlungsplattform zu offerieren. Eine eigentliche Vermittlungsrolle werden wir aber nicht sehen.
Letztlich müssen also Kiew und Moskau miteinander verhandeln.
Absolut.
In Moskau spekulieren viele auf eine zweite Trump-Präsidentschaft – und damit auf ein vermeintliches Ende der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine.
Wenn ein solches Spitzentreffen in der Schweiz zustande kommen sollte, wird Russland kaum dabei sein. Macht ein solches Treffen ohne den zentralen Akteur überhaupt Sinn?
Es ist legitim, dass man versucht, für wesentliche Elemente des ukrainischen Friedensplans zu werben. Immerhin ist die Ukraine Opfer eines russischen Angriffskriegs. Irgendwann wird es aber einen Prozess brauchen, an dem beide Parteien am Tisch sitzen. Davon sind wir noch weit entfernt.
Hat Russland derzeit überhaupt ein Interesse an einer Friedenslösung? Momentan spielt die Zeit ja eher für das Land.
Russland nimmt in der Tat an, dass die Zeit auf seiner Seite ist. Weniger wegen der Entwicklung auf dem Schlachtfeld, sondern vielmehr aus politischen Gründen. In Moskau spekulieren viele auf eine zweite Trump-Präsidentschaft – und damit auf ein vermeintliches Ende der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine.
Welche Minimalkonzessionen müssten Russland und die Ukraine für eine Annäherung machen?
Wenn jetzt Waffenstillstandsverhandlungen geführt würden, würde dies das Risiko eines langfristigen Einfrierens des Konflikts mit sich bringen. Es könnte zu einer Situation wie derjenigen zwischen Nord- und Südkorea kommen, die über Jahre und womöglich Jahrzehnte bestehen bliebe. Das würde bedeuten, dass die Ukraine zwanzig Prozent ihres Territoriums zumindest für diesen Zeitraum verloren hätte.
Sehen Sie mittelfristig eine Perspektive für ein geopolitisch weniger aggressives und vor allem auch weniger anti-westliches Russland?
Kurz- und mittelfristig nicht. Bis auf Weiteres wird es eine europäische Sicherheitsordnung brauchen, die uns in erster Linie vor Russland beschützt. Ich hoffe, dass wir längerfristig zu einer Sicherheitsordnung mit Russland zurückkehren können, die nicht nur auf Abschreckung basiert, sondern auch Elemente der Kooperation beinhaltet. Dafür müssen sich die politischen Positionen in Russland fundamental ändern. Das scheint im Moment nicht absehbar.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.