Haltung der Türkei zum Ukraine-Krieg: Die Positionen Erdogans sind widersprüchlich. Einerseits Vermittlung im Konflikt, andererseits Unterstützung der Ukraine und drittens der Wunsch nach einer Mitgliedschaft in der russisch-chinesischen Wirtschaftsgemeinschaft SCO. «Erdogan versucht, einen Mittelkurs auf einer sehr schwankenden Planke zu fahren. Es ist ein ständiges ‹Sowohl-Als-Auch›», sagt der in Istanbul lebende Journalist Thomas Seibert.
Gelungener Gefangenenaustausch: Erdogans Einsatz als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland brachte unter anderem den Gefangenenaustausch, der kürzliche stattgefunden hat, zustande.
Gelungene Getreideausfuhr: Im Juli brachte es die Türkei fertig, dass Russland und die Ukraine Abkommen unterschrieben, dass aus drei ukrainischen Häfen wieder Getreide exportiert werden kann. Inzwischen sind rund 100 Schiffe mit 2.5 Millionen Tonnen an Agrarprodukten verschifft worden.
Moralische Unterstützung der Ukraine: In einem kürzlich veröffentlichten Interview gegenüber dem US-Sender PBS forderte Erdogan Russland auf, die besetzten Gebiete in der Ukraine zurückzugeben, sobald ein Frieden ausgehandelt sei. Genauso müsse die von Russland besetzte Halbinsel Krim an die Ukraine zurückgegeben werden.
Geplante Zusammenarbeit mit Russland: Die Türkei strebt eine Mitgliedschaft im wirtschafts- und sicherheitspolitischen Staatenbündnis um China und Russland an. Die beiden Länder hatten erklärt, die Zusammenarbeit mit anderen Staaten in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOC) ausbauen zu wollen. Damit soll ein Gegengewicht zu westlichen Bündnissen geschaffen werden. Dass die Türkei eine Mitgliedschaft bei dieser Organisation in Betracht zieht, irritiert ihre Partner in der Nato.
Langfristige Strategie: Das Fernziel von Erdogan sei, Putin und den ukrainischen Präsidenten Selenski zu einem Gipfeltreffen in der Türkei zusammenzubringen, sagt Journalist Seibert. «Er wird dabei pragmatisch genug sein, um sich auf die Seite des Siegers zu stellen.»
Türkei als Schlupfloch: Die US-Amerikaner und Europäer befürchten, dass die Türkei zu einem Schlupfloch für Russland zur Umgehung der Sanktionen werden könnte. Die Türkei hat anders als der Westen keine Sanktionen gegen Russland verhängt. «Die türkischen Exporte nach Russland sind unglaublich angestiegen», sagt Seibert, «um 90 Prozent». Das beunruhige den Westen.
Wirtschaft im Vordergrund: Erdogan gehe es bei seinem Schlingerkurs vor allem um die türkische Wirtschaft, so Seibert. Einerseits profitiert die türkische Wirtschaft von der Lieferung von Kampfdrohnen an die Ukraine, andererseits aber auch von den Russinnen und Russen, die in der Türkei Ferien machen und von Investoren, die sich im Westen nicht mehr blicken lassen können.