Niemand an der Nato-Spitze sagt es ausdrücklich, aber alle wissen es. Letztlich geht es um die eine Frage: Wie gestalten wir die Unterstützung der Allianz für die Ukraine «Trump-resistent»? Also so, dass sie Bestand hat, sollte Donald Trump wieder US-Präsident werden.
Zwar beteuert die Nato-Botschafterin der USA, Julianne Smith, die Regierung von Joe Biden wolle weiterhin das Sechzig-Milliarden-Dollar-Hilfspaket für die Ukraine durchs US-Repräsentantenhaus bringen. Doch die Republikaner – unter dem Druck von Trump – sträuben sich. Ein Durchbruch ist nicht in Sicht, mag die Ukraine die Unterstützung noch so dringend benötigen.
Es bleibt nicht mehr ewig Zeit
Tatsächlich hat Russland derzeit die Initiative an der Front: Es hat mehr Waffen, mehr Soldaten und keine Nachschubprobleme.
Auf das grosse Hilfspaket aus Washington kann Kiew daher nicht ewig warten. Zumal es gewiss nicht kommt, sollte Trump im Herbst die Wahl gewinnen. Das weiss man am Nato-Hauptsitz. Weshalb Generalsekretär Jens Stoltenberg jetzt eine eigene Initiative lanciert, sozusagen sein Schlussbouquet, bevor er im Herbst abtritt. «Die westliche Militärallianz muss für die Ukraine verlässliche, berechenbare und langfristige Militärhilfe leisten», sagt er zum Auftakt des Nato-Aussenministertreffens.
Konkret schlägt er – ohne selber die Zahl zu bestätigen – ein Hundert-Milliarden-Dollar-Paket über die nächsten fünf Jahre vor. Der Beitrag zu diesem Paket, der auf die USA entfiele, wäre wesentlich geringer als beim blockierten bilateralen Angebot Washingtons. Das heisst, die europäischen Nato-Partner müssten die Hauptlast schultern. Statt Unterstützung von Fall zu Fall und nach dem Gusto der 32 Nato-Mitgliedsländer denkt Stoltenberg an ein verbindliches Angebot für die Ukraine.
Die Nato übernähme von den USA auch Federführung und Koordination in der sogenannten Ramstein-Gruppe, in der Allianzländer und mehr als ein Dutzend weitere Staaten mitmachen. Stoltenbergs Initiative wird nun auf dem Nato-Ministertreffen diskutiert. Spätestens auf dem Nato-Gipfeltreffen im Juli in Washington soll sie verabschiedet werden.
Kiew braucht ein klares Signal.
Die ersten Reaktionen sind positiv. So stellt sich Frankreichs Aussenminister Stéphane Séjourné hinter den Vorstoss: «Kiew braucht ein klares Signal, dass die Nato die Ukraine langfristig unterstützt.»
Wir brauchen Verlässlichkeit.
Ähnlich äussert sich die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock: «Wir brauchen Verlässlichkeit, finanziell und materiell, bei der klaren Unterstützung der Ukraine.»
Entscheid ist noch nicht gefallen
Unter Dach und Fach ist die Sache dennoch nicht. Zumal solche Nato-Entscheidungen Einstimmigkeit erfordern. Längst nicht alle Bündnismitglieder stehen gleichermassen entschlossen hinter der Ukraine. Kopfzerbrechen bereiten wird auch die genaue Kostenaufteilung. Ebenso die Frage, ob die hundert Milliarden zusätzlich zur bisherigen bilateralen Militärhilfe von Nato-Staaten gezahlt werden.
Immerhin herrscht einigermassen Einigkeit darüber, dass Stoltenbergs Initiative in die richtige Richtung weist. Und dass sie angesichts einer möglichen zweiten Trump-Präsidentschaft zwingend ist. Eine andere Frage ist, ob die zusätzliche Hilfe für die Ukraine noch rechtzeitig erfolgt.