Die Pandemie in Brasilien hat laut Medienberichten mittlerweile über 600’000 Menschen das Leben gekostet – global verzeichnet das Land die zweithöchste Corona-Opferzahl. Eine parlamentarische Kommission hat nun einen Untersuchungsbericht zur Corona-Politik des Präsidenten Jair Bolsonaro veröffentlicht. Laut der freien Lateinamerika-Korrespondentin Sandra Weiss hat er aber nichts zu befürchten. Er verfügt über eine Mehrheit im Kongress.
Was wird Bolsonaro konkret vorgeworfen?
Der Untersuchungsausschuss wirft ihm vor, die Pandemie verharmlost und Werbung für unerprobte Medikamente gemacht zu haben. Ausserdem habe die Regierung den Einkauf von Impfstoffen verzögert. Zum Beispiel haben sie herausgefunden, dass über 100 Mails von Pfizer unbeantwortet geblieben sind, während die Regierung stattdessen mit Indien verhandelt hat, über Impfstoffe, die letztlich gar nicht auf den Markt kamen, gar nicht marktreif waren.
Ein Amtsenthebungsverfahren hat wahrscheinlich keine Chancen.
Dann hat sich Bolsonaro natürlich wiederholt gegen das Tragen von Masken ausgesprochen, gegen Lockdowns, gegen soziale Distanz. Es gab Experimente an Covid-19-Erkrankten mit nicht zugelassenen Medikamenten. Es gab Korruption beim Einkauf von Material. Es ist also eine ganze Menge schiefgelaufen im ganzen Pandemie-Management in Brasilien.
Die Untersuchungskommission empfiehlt, Bolsonaro anzuklagen. Was bedeutet das?
Bolsonaro wird sich wahrscheinlich aus dieser Anklage retten können. Der Generalstaatsanwalt, der über eine solche Anklage befinden müsste, wurde von ihm ernannt und ist ein Bolsonaro-Sympathisant. Insofern drohen ihm wahrscheinlich juristisch keine Konsequenzen. Und auch politisch vermutlich eher nicht, denn im Kongress kann er noch auf eine deutliche Mehrheit zählen. Das heisst, auch ein Amtsenthebungsverfahren hat wahrscheinlich keine Chancen.
Inwieweit wird es sich politisch für ihn auswirken?
Nächstes Jahr stehen Gesamterneuerungswahlen an. Bolsonaro stellt sich zur Wiederwahl für eine zweite Amtszeit. Momentan ist er nicht sehr populär, seine Werte liegen laut Umfragen bei unter 30 Prozent, aber es ist natürlich noch eine Weile hin. In einem Jahr kann sich viel ändern.
Das Gespräch führte Roger Aebli.