Die USA wollen aus Afghanistan abziehen. Das wurde bereits unter Donald Trump beschlossen. Nun soll dieser Abzug nicht wie geplant im Mai, sondern bis spätestens am 11. September vonstattengehen. Das haben die US-Behörden unter Präsident Biden bekannt gegeben.
Weniger das Datum, sondern der Truppenabzug an sich bereitet den afghanischen Behörden Kopfzerbrechen. Denn mit den Amerikanern verlässt auch die Nato das Land. Afghanistan muss dann allein mit den stärker werdenden Taliban zu einer Einigung kommen.
Für Abdullah Abdullah, den Vorsitzenden des Rates der nationalen Versöhnung, bleibt nicht viel mehr übrig als die Hoffnung: «Wir müssen flexibel sein, und dennoch entschlossen – um ein friedliches Ergebnis in den Verhandlungen mit den Taliban zu erzielen.»
Abdullah weiss, dass ein friedliches Ergebnis mit den Taliban viel Flexibilität seitens der Demokratischen Republik Afghanistan erfordert. Dennoch will er die Taliban einbinden. «Alles soll auf den Tisch kommen dürfen, über alles soll diskutiert werden können.»
Doch die Verhandlungen stocken. Seit September beraten Vertreter der Republik Afghanistan mit den Taliban erfolglos in Doha. Um den Verhandlungen neuen Schwung zu verleihen, wurde in Moskau letzten Monat eine Afghanistan-Konferenz durchgeführt. Ohne Einigung.
Abdullah macht die Taliban für die Verzögerungen verantwortlich. Diese warten nun erst recht den Moment ab bis die ausländischen Truppen vollständig abgezogen sind. Erst dann wollen sie die Verhandlungen weiterführen.
Doch harzt es auch auf der Seite der Republik Afghanistan. Verschiedenste Interessen sind am Verhandlungstisch vertreten: Frauenrechtlerinnen und auch Söhne früherer Warlords, die das Heu nicht unbedingt auf derselben Bühne haben.
Die Taliban haben ihre Ideen, wir haben unsere.
Abdullah sieht diese Vielfalt der Republik als Stärke. In den Kernfragen – Wahlrecht für alle, Männer und Frauen, Minderheitenschutz, Meinungsfreiheit – sei man sich einig, zumindest auf der Seite der Republik Afghanistan.
«Wie die Taliban zu diesen Punkten stehen, muss in den Verhandlungen herausgefunden werden», sagt Abdullah vorsichtig. Die Idee sei nicht, die Taliban zum grössten Verfechter der Demokratie zu konvertieren: «Sie haben ihre Ideen, wir haben unsere.»
Nebeneinander statt miteinander
Das klingt nach Machtteilung. Dafür scheint bereits ein Fahrplan zu bestehen. Erst sollte eine Übergangs- oder Friedensregierung entstehen, in dieser werde man sich auf einen Waffenstillstand einigen, und dann werde die künftige Regierung aufgrund von Neuwahlen bestimmt werden. Es scheint, dass man sich auf der Seite der Republik Afghanistan zumindest darüber einig ist.
Ein Emirat solle Afghanistan nicht mehr werden. Doch weiterfahren wie bisher komme auch nicht infrage. «Man muss einen Mittelweg finden», ist Abdullah überzeugt.
Militärische Oberhand
Doch der Abzug der ausländischen Truppen könnte von den Taliban genutzt werden, um zumindest zwischenzeitlich militärisch die Oberhand zu erlangen, gibt Abdullah zu. Frieden würde das laut dem Vorsitzenden des Rates der nationalen Versöhnung nicht bedeuten. Er hegt die Hoffnung, dass die Taliban an Frieden interessiert sind.
Die Taliban liessen über Twitter verlauten, dass sie an der alten Mai-Frist festhalten wollen. Wenn diese gebrochen werde und die US-Truppen dann nicht abzögen, würden sie sich nicht mehr an die Verhandlungen mit der Republik gebunden fühlen.