Er spricht leise, setzt seine Worte sparsam ein und blickt verletzlich ins Publikum. Am Parteitag der Republikaner gab Trump für einmal nicht den Einpeitscher, sondern den Überlebenden – der sich nach einem gescheiterten Attentat auf einer Mission sieht: die «Gespaltenen Staaten von Amerika» wieder zu vereinen.
«Im ersten Teil der Rede hörten wir einen Donald Trump, wie wir ihn selten erleben», sagt Claudia Brühwiler, Dozentin für Amerikanistin an der Universität St. Gallen. «Er wirkte bewegt und gab uns einen Einblick in seine Verfasstheit während des Attentats. Er sprach gerührt über das Todesopfer und die schwerverletzten Überlebenden.»
Bewegend und ungewöhnlich für den einstigen New Yorker Immobilienmogul und Reality-TV-Star, befindet die USA-Kennerin. Mit einem Rundumschlag gegen «Crazy Nancy Pelosi», kriminelle Migranten und Demokraten, die das Land zerstören, kam dann aber der Bruch im Drehbuch: «Damit vereinte er alle Klischees, die wir aus seinen Reden kennen.»
Veränderte Vorzeichen
Nichtsdestotrotz: Für einmal liess es Trump menscheln. Die Rolle des Versöhners und Landesvaters ist eigentlich diejenige von Joe Biden: Wenn Terroristen amerikanische Bürgerinnen und Soldaten töten, spricht er zu einer verwundeten Nation; wenn Amokläufer Kirchen oder Schulen stürmen, teilt er das Leid der Angehörigen. Denn Joe Biden weiss, wovon er spricht.
Am Tag nach dem Mordversuch auf seinen Kontrahenten sprach der 81-Jährige zum amerikanischen Volk. «Es gibt keinen Platz für diese Art von Gewalt in Amerika, ohne Ausnahme. Wir sind keine Feinde.»
Doch in diesen Tagen richtet sich die Aufmerksamkeit kaum auf Bidens Botschaft, sondern auf seine Performance: Jeder Versprecher, jeder Misstritt droht seiner Kandidatur den Stecker zu ziehen. Tiktok und Co. quellen über mit Aussetzern des Präsidenten, die Häme driftet zuweilen in Menschenverachtung ab. Der amerikanische Präsident ist zum Meme geworden. Dabei war es lange sein Vorgänger, der – mehr oder weniger freiwillig – das Netz bespasste.
Auch Trumps «Alpha-Handshakes» mit Staats- und Regierungschefs gingen gerne mal viral:
Zu skurrilen Auftritten kam eine aufwiegelnde Rhetorik, die auch die eigene Partei spaltete. Nun versucht Trump auch diejenigen zu erreichen, die ihn bislang für unwählbar hielten.
Die Demokraten sind derzeit nicht in der Verfassung, um eine Wahl zu gewinnen.
Die Republikaner seien geeint wie seit Jahren nicht mehr, schätzt Brühwiler: «Die kritischen Stimmen sind praktisch verstummt. Die Begeisterung wurde durch die Dankbarkeit darüber verstärkt, dass Trump das Attentat überlebt hat.»
Dagegen verliert Biden nicht nur an Rückhalt bei Parteigrössen. In einer aktuellen Umfrage fordern fast zwei Drittel der demokratischen Wählerschaft, dass er nicht erneut fürs Weisse Haus kandidiert. Ein verheerendes Verdikt.
Prognosen, wie es für Biden weitergeht, will die USA-Expertin nicht anstellen. «Die Sterne stehen aber so, dass er seine Kandidatur zurückziehen könnte.» Die Wettmärkte spekulieren bereits. Täglich dringen Indiskretionen aus der Partei nach aussen. Der Druck auf Biden steigt fast stündlich.
Dass Trump sein Skript in Milwaukee verliess und in altbekannte Muster verfiel, bleibt ein schwacher Trost für die Demokraten. «Derzeit sind sie nicht in der Verfassung, um eine Wahl zu gewinnen», bilanziert Brühwiler. «Eine funktionierende Kristallkugel hat aber niemand – und es hatte auch niemand einen Attentatsversuch auf der Rechnung.»