Zum Inhalt springen

Alles anders in Amerika Trump gibt den Versöhner und Biden geht viral

Die USA im falschen Film? Donald Trump berührt das Publikum – und Joe Biden mischt das Netz auf. Der Wahlkampf geht ungeahnte Wege.

Er spricht leise, setzt seine Worte sparsam ein und blickt verletzlich ins Publikum. Am Parteitag der Republikaner gab Trump für einmal nicht den Einpeitscher, sondern den Überlebenden – der sich nach einem gescheiterten Attentat auf einer Mission sieht: die «Gespaltenen Staaten von Amerika» wieder zu vereinen.

«Im ersten Teil der Rede hörten wir einen Donald Trump, wie wir ihn selten erleben», sagt Claudia Brühwiler, Dozentin für Amerikanistin an der Universität St. Gallen. «Er wirkte bewegt und gab uns einen Einblick in seine Verfasstheit während des Attentats. Er sprach gerührt über das Todesopfer und die schwerverletzten Überlebenden.»

Trump küsst die Uniform des getöteten Feuerwehrmanns.
Legende: «Ich sollte nicht hier stehen», sagte Trump mit Blick auf das gescheiterte Attentat vom Wochenende. Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner küsste die Uniform des Feuerwehrmanns, der bei dem Angriff getötet wurde. Keystone/SHAWN THEW

Bewegend und ungewöhnlich für den einstigen New Yorker Immobilienmogul und Reality-TV-Star, befindet die USA-Kennerin. Mit einem Rundumschlag gegen «Crazy Nancy Pelosi», kriminelle Migranten und Demokraten, die das Land zerstören, kam dann aber der Bruch im Drehbuch: «Damit vereinte er alle Klischees, die wir aus seinen Reden kennen.»

Veränderte Vorzeichen

Nichtsdestotrotz: Für einmal liess es Trump menscheln. Die Rolle des Versöhners und Landesvaters ist eigentlich diejenige von Joe Biden: Wenn Terroristen amerikanische Bürgerinnen und Soldaten töten, spricht er zu einer verwundeten Nation; wenn Amokläufer Kirchen oder Schulen stürmen, teilt er das Leid der Angehörigen. Denn Joe Biden weiss, wovon er spricht.

Bild: Biden 2008 mit seinem Sohn Joseph «Beau» Biden.
Legende: 1972 kamen Bidens Frau und seine Tochter bei einem Autounfall ums Leben, seine beiden Söhne überlebten schwer verletzt. Beau, einer der beiden Überlebenden, verstarb im Alter von 46 Jahren an einem Hirntumor. Bild: Biden 2008 mit seinem Sohn Joseph «Beau» Biden. Getty Images/Keith Bedford (via Bloomberg)

Am Tag nach dem Mordversuch auf seinen Kontrahenten sprach der 81-Jährige zum amerikanischen Volk. «Es gibt keinen Platz für diese Art von Gewalt in Amerika, ohne Ausnahme. Wir sind keine Feinde.»

Doch in diesen Tagen richtet sich die Aufmerksamkeit kaum auf Bidens Botschaft, sondern auf seine Performance: Jeder Versprecher, jeder Misstritt droht seiner Kandidatur den Stecker zu ziehen. Tiktok und Co. quellen über mit Aussetzern des Präsidenten, die Häme driftet zuweilen in Menschenverachtung ab. Der amerikanische Präsident ist zum Meme geworden. Dabei war es lange sein Vorgänger, der – mehr oder weniger freiwillig – das Netz bespasste.

Auch Trumps «Alpha-Handshakes» mit Staats- und Regierungschefs gingen gerne mal viral:

Zu skurrilen Auftritten kam eine aufwiegelnde Rhetorik, die auch die eigene Partei spaltete. Nun versucht Trump auch diejenigen zu erreichen, die ihn bislang für unwählbar hielten.

Die Demokraten sind derzeit nicht in der Verfassung, um eine Wahl zu gewinnen.
Autor: Claudia Brühwiler Dozentin für Amerikanistin an der Universität St. Gallen

Die Republikaner seien geeint wie seit Jahren nicht mehr, schätzt Brühwiler: «Die kritischen Stimmen sind praktisch verstummt. Die Begeisterung wurde durch die Dankbarkeit darüber verstärkt, dass Trump das Attentat überlebt hat.»

Ted Cruz 2016 am Parteitag der Republikaner
Legende: Am Parteitag 2016 liessen einflussreiche Republikaner wie Ted Cruz ihr Unbehagen gegenüber dem späteren Präsidenten Donald Trump erkennen. Nun stehen auch viele einstige Kritikerinnen und Kritiker stramm hinter ihm. Keystone/AP/Evan Vucci

Dagegen verliert Biden nicht nur an Rückhalt bei Parteigrössen. In einer aktuellen Umfrage fordern fast zwei Drittel der demokratischen Wählerschaft, dass er nicht erneut fürs Weisse Haus kandidiert. Ein verheerendes Verdikt.

Trump lässt sich am Parteitag feiern.
Legende: Trump und seine Partei reiten derzeit auf einer Welle – gewählt wird aber erst in dreieinhalb Monaten. «Das Gedächtnis der Wählerinnen und Wähler ist recht kurzfristig ausgelegt», sagt Politologin Claudia Brühwiler. REUTERS/Brian Snyder

Prognosen, wie es für Biden weitergeht, will die USA-Expertin nicht anstellen. «Die Sterne stehen aber so, dass er seine Kandidatur zurückziehen könnte.» Die Wettmärkte spekulieren bereits. Täglich dringen Indiskretionen aus der Partei nach aussen. Der Druck auf Biden steigt fast stündlich.

Dass Trump sein Skript in Milwaukee verliess und in altbekannte Muster verfiel, bleibt ein schwacher Trost für die Demokraten. «Derzeit sind sie nicht in der Verfassung, um eine Wahl zu gewinnen», bilanziert Brühwiler. «Eine funktionierende Kristallkugel hat aber niemand – und es hatte auch niemand einen Attentatsversuch auf der Rechnung.»

US-Wahlen 2024

Box aufklappen Box zuklappen
Logo von SRF News zu den US-Wahlen 2024
Legende: SRF

Donald Trump kehrt als 47. Präsident ins Weisse Haus zurück. Alle News und Hintergründe dazu finden Sie hier: US-Wahlen 2024 .

SRF 4 News, 19.07.2024, 10:09 Uhr;kobt

Meistgelesene Artikel