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Biden aus historischer Sicht «Der Held, der Trump losgeworden ist, hat ihn zurückgebracht»

Morgen endet eine über 50-jährige Politikerkarriere: Präsident Joe Biden verlässt das Weisse Haus. Er kann so manche Leistung für sich in Anspruch nehmen: Er brachte etwa grosse Investitionen in die Infrastruktur durch. Er senkte Medikamentenpreise für die Amerikaner und führte die USA aus der Pandemie. Doch Biden scheiterte am Ende an seinem erklärten Ziel, Donald Trump eine zweite Amtszeit zu verwehren. Douglas Brinkley von der Rice University in Texas ist einer der landesweit renommiertesten Präsidenten-Historiker. USA-Korrespondent Andrea Christen hat mit ihm über Bidens Leistungen gesprochen.

SRF: War Biden ein bedeutender Präsident, einer der das Land verändert hat?

Douglas Brinkey: Ich betrachte Joe Biden als einen Platzhalter, als jemanden wie Präsident Gerald Ford – der die USA aus dem Vietnamkrieg führen musste. Biden tat dasselbe in Afghanistan. Er tat sich aber schwer damit, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass es mit der Wirtschaft nach der Pandemie aufwärts ging. Manchmal ignorierte er grosse Probleme, wie die Einwanderung an der Grenze zu Mexiko. Er wollte den Eindruck erwecken, es handle sich nicht um eine Krise – und verlor durch sein Nichtstun an öffentlichem Ansehen.

Manchmal ignorierte er grosse Probleme.

Bedeutsam war der «Inflation Reduction Act». Das Gesetz ist vor allem ein Klimapaket, eine massive Investition in erneuerbare Energien. Könnte das dereinst als herausragende Leistung von Biden gelten?

Ja, es sollte eine herausragende Errungenschaft sein. Aber Präsident Trump kann versuchen, Teile davon rückgängig zu machen. Barack Obama war mit seiner Reform der Krankenversicherungen so erfolgreich, weil er zuliess, dass sie Obamacare genannt wurde. Und weil er zwei Amtszeiten hatte. In seinem ersten Jahr wurde Obamacare verabschiedet, er hatte sieben Jahre lang Zeit, die Reform umzusetzen. Als Obama das Amt niederlegte, galt Obamacare in den USA als Geburtsrecht. Aber Bidens Geld für den Klimaschutz wird erst jetzt ausgegeben. Es ist in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht ausreichend angekommen.

Der chaotische Rückzug aus Afghanistan war ein Fiasko für Biden. Zwischen Israel und der Hamas konnte er keine Waffenruhe vermitteln – erst jetzt, als die Trump-Präsidentschaft kurz bevorsteht, kam ein Abkommen zustanden. Wo sehen sie Bidens aussenpolitischen Erfolge?

Er ist einer der alten Transatlantiker, ein Pro-Nato-Amerikaner. Biden steht damit in einer Kontinuität, die seit Präsident Harry Truman besteht, mit der Ausnahme von Donald Trump. Unter Biden kamen zwei neue Länder in die Nato. Er führte den Widerstand gegen Putin in der Ukraine an. Vielleicht wird die Geschichte zeigen, dass er der Ukraine früh schon ausgefeiltere Waffensystem hätte anbieten sollen. Aber ich denke, dass er in den Nato-Angelegenheiten sein Bestes gab. Auch was die Strategie im Pazifik angeht. Es gab Vereinbarungen mit Neuseeland, Japan, Südkorea, Australien. In dieser Hinsicht meine ich, dass er als fähiger amerikanischer Präsident in Erinnerung bleibt.

Seine überhebliche Weigerung, anzuerkennen, was es bedeutet, 80 Jahre alt zu sein, hat verhindert, dass er als einer der besseren amerikanischen Präsidenten gelten wird.

Angeblich hat Biden 2020 vor allem kandidiert, um dafür zu sorgen, dass Trump nur eine Amtszeit lang im Weissen Haus ist. Es ist anders gekommen. Wie stark wird das Bidens Vermächtnis prägen?

Biden hatte Entscheidungsmomente, in denen er versagte. Einer davon war bei den Kongresswahlen von 2022. Die Demokraten schnitten besser ab als erwartet. Biden hätte sich danach aus dem Rennen nehmen sollen, hätte seine Partei anführen, hätte anderen Demokraten sagen sollen: «Kommt, kandidiert!» Die zweite schlechte Entscheidung: Die TV-Debatte gegen Trump, obwohl Biden wusste, dass er geistig nachliess. All seine Chancen, Kandidat zu bleiben, wurden – und zwar sehr spät im Wahljahr – zunichte gemacht. Seine überhebliche Weigerung, anzuerkennen, was es bedeutet, 80 Jahre alt zu sein, hat verhindert, dass er als einer der besseren amerikanischen Präsidenten gelten wird. Der Held, der Trump losgeworden ist, ist nun derjenige, der Trump zurückgebracht hat.

Jimmy Carter, kürzlich gestorben, war vor Joe Biden der letzte Demokrat, der nur eine Amtszeit regierte. Ich hatte den Eindruck, dass sein Ansehen nach seiner Amtszeit stieg. Könnte das auch für Joe Biden gelten?

Der Unterschied ist, dass Jimmy Carter, als er sein Amt niederlegte, 56 Jahre alt war – Biden ist 82. Für Biden gibt es keine Chance, eines dritten, vierten Akts. Carter war nach der Amtszeit in der Lage, für Menschenrechte zu kämpfen, gewann den Friedensnobelpreis. Carter ist für konkrete, unbestreitbare Errungenschaften verantwortlich: das von ihm vermittelte Camp-David-Abkommen zwischen Ägypten und Israel. Er anerkannte die Volksrepublik China. Für Biden wird es schwieriger, als wichtiger Präsident in Erinnerung zu bleiben.

 

Echo der Zeit, 17.01.2025, 17 Uhr ; 

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