Don Beyer hat den Sturm aufs Kapitol hautnah miterlebt. Im Interview spricht er über die wachsende Radikalisierung in den USA und seine Erfahrungen als ehemaliger Botschafter in der Schweiz.
SRF: Woran erinnern Sie sich am meisten aus Ihrer Zeit als Botschafter in der Schweiz?
Don Beyer: Überwältigend war die Idee der Machtteilung, die Konkordanz. Als ich dort war, bestand der siebenköpfige Bundesrat aus fünf verschiedenen Parteien, und doch wurde alles im Konsens entschieden. Hier in den USA sind wir stark zweigeteilt – Demokraten gegen Republikaner – und spielen oft ein Nullsummenspiel: Wenn ich gewinne, verlierst du und umgekehrt. Ich bevorzuge das Schweizer Modell.
Wenn Sie auf Ihre politische Karriere zurückblicken, wie hat sich diese Polarisierung in den USA im Laufe der Jahre verändert?
Es ist schlimmer geworden. Ich war acht Jahre lang in der Generalversammlung von Virginia. Dort waren etwa 90 Prozent der Gesetzgebung parteiübergreifend. Man konnte nicht vorhersagen, wie die Leute je nach Partei abstimmen würden. Damals hatten wir Republikaner, die für Waffensicherheit waren, und Demokraten, die mehr Waffen wollten. Demokraten wollten Abtreibungsbeschränkungen und Republikaner mehr Freiheiten.
Wir alle warten auf den Tag, an dem Trump keine Rolle mehr spielt.
Macht Ihnen die Spaltung des Landes Angst?
Es ist unangenehm, bis ich mich daran erinnere, dass wir den grössten Teil der Menschheitsgeschichte mit Stöcken, Schwertern und Waffen gekämpft haben. Donald Trump ist ein Ausreisser in der amerikanischen Geschichte der letzten 250 Jahre. Wir alle warten auf den Tag, an dem er keine Rolle mehr spielt – auch viele meiner republikanischen Freunde.
Können Sie uns vom 6. Januar 2021 erzählen? Wo waren Sie?
Ich war im Büro im Gebäude des Repräsentantenhauses. Nancy Pelosi, die damalige Sprecherin, sagte, man solle nicht in den Saal kommen, es sei denn, man halte eine Rede. Dann hörte man plötzlich über die Lautsprecher, man solle die Storen schliessen, sich von den Fenstern fernhalten und die Tür abschliessen. Meine Frau wollte, dass ich nach Hause komme, aber der Campus war abgeriegelt. Ich konnte nicht wegfahren.
Ich war 17 Stunden hier eingesperrt.
Und Sie sahen die Maga-Demonstranten draussen?
Direkt da draussen. Ein paar Mal klopften Leute an die Tür, aber ich wusste nicht, ob es Demonstranten waren oder die Kapitol-Polizei. Also ignorierte ich es. Ich war 17 Stunden hier eingesperrt. Ich ass ein paar Erdnüsse. Gegen zwei Uhr morgens sagten sie endlich, dass alles sicher sei. Die Demonstranten waren weg und ich ging zum Kapitol, um die Wahl offiziell zu bestätigen.
Hatten Sie Angst?
Nein, ich war wachsam. Wenn ich im Kapitol gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich grosse Angst gehabt. Meine Freunde vor Ort waren traumatisiert.
Es war ein Kult.
Was ging Ihnen durch den Kopf?
Eine grosse Enttäuschung. Aber ich machte nicht das gesamte amerikanische Volk dafür verantwortlich. Es war nur eine kleine Gruppe von ein paar Hundert Menschen, die fanatische Anhänger von Donald Trump waren. Es war ein Kult und hatte nichts mit politischen Überzeugungen zu tun, sondern mit der Vorstellung von Donald Trump als Retter.
Eine Sorge ist, dass es zu weiterer Gewalt kommen wird, wenn Trump wieder verlieren sollte.
Keine weit verbreitete Gewalt. Die Wahl wird knapp sein, aber viele der Menschen, die für Donald Trump stimmen, sind keine Fanatiker. Sie sind Leute, die Joe Biden für die Lebensmittelpreise oder den Benzinpreis verantwortlich machen. Die Zahl der Menschen, die sich für Donald Trump opfern würden, ist ziemlich klein.
Das Gespräch führte Peter Düggeli.