Darum geht es: Die «Washington Post» verliert derzeit massiv Leserinnen und Leser. Dies, nachdem die Zeitung bekannt gegeben hat, erstmals seit 1988 keine Empfehlung für die US-Präsidentenwahlen aussprechen zu wollen. Die Entscheidung kommt von Amazon-Gründer Jeff Bezos als Besitzer der Zeitung. Nun haben laut US-Medien in rund drei Tagen mehr als 250’000 Abonnenten gekündigt – etwa jeder zehnte Kunde. Angestellte der «Washington Post» berichteten zudem, dass zuvor bereits eine Empfehlung für die Demokratin Kamala Harris geschrieben worden sei – Bezos habe sich aber gegen eine Veröffentlichung entschieden.
Deshalb ist der Entscheid überraschend: Die «Washington Post» hat sich 2017, zum Amtsantritt von Trump, für die gesamte Zeitung ein neues Motto gegeben: Democracy dies in darkness (Demokratie stirbt im Dunkeln). «Das Motto allein ist eine Breitseite gegen Trump. Entsprechend lesen sich auch die Meinungsseiten der Zeitung», meint die Schweizer USA-Expertin Claudia Brühwiler. Die Wahlempfehlung durch die «Washington Post» sei somit schon längst gefallen.
Eine «merkwürdige Begründung» von Jeff Bezos: Der Besitzer der «Washington Post» hat seinen Entscheid zum Verzicht auf eine Wahlempfehlung unter anderem damit begründet, dass viele Menschen Medien für parteiisch hielten. Brühwiler findet: «Die Begründung liest sich sehr merkwürdig, vor allem so kurz vor den Wahlen.» Sie lege auch nahe, was Trump und viele andere der Zeitung immer wieder vorgeworfen haben: «Dass es sich nicht um eine unabhängige Zeitung handelt, sondern um die ‹Amazon Washington Post›». Denn Bezos mische sich hier in einem Bereich ein, bei dem erwartet würde, dass die Redaktion unabhängig von ihrem Eigner sei.
Die Spekulationen um Donald Trumps Einfluss: Eine Trump-Regierung könnte Bezos' Unternehmen – beispielsweise der Weltraumfirma Blue Origin, die auf Staatsaufträge angewiesen ist – das Leben schwer machen. Deshalb werfen kritische Stimmen Bezos vor, den Verzicht auf eine Wahlempfehlung aus Angst vor finanziellen Einbussen angeordnet zu haben. Öl ins Feuer goss auch, dass sich Blue-Origin-Chef Dave Limp nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Entscheidung mit Trump in Florida traf. Er habe davon vorher nicht gewusst, schrieb Bezos. Der konservative Meinungskolumnist Robert Kagan, der die Zusammenarbeit mit der «Washington Post» gekündigt hat, sagte gegenüber CNN: «Es ist ein offensichtlicher Versuch von Jeff Bezos, sich bei Donald Trump anzubiedern.» Bezos selbst behauptet allerdings, dass seine wirtschaftlichen Interessen keine Rolle spielen würden.
So steht es in den USA um das Vertrauen in die Medien: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup haben nur noch 31 Prozent der Befragten volles oder mehrheitliches Vertrauen in die Massenmedien. Laut USA-Expertin Claudia Brühwiler liegt es nicht nur daran, dass viele Medien klare Positionen beziehen, sondern, dass sogenannte alternative Medien verfolgen, wie diese Positionsnahme vollzogen wird und darauf aufbauend Zweifel über die übrige Berichterstattung säen würden. «So gibt es eben auch Medien, die genau darauf ausgerichtet sind, diese Zweifel auszuschlachten. Man denke zum Beispiel an Fox News, das eigentlich schon von Anbeginn darauf ausgerichtet ist, die Glaubwürdigkeit anderer Medien infrage zu stellen.»
Mitarbeit: Rachel Beroggi