Seit 20 Jahren ist Recep Tayyip Erdogan an der Macht. Bei den kommenden Wahlen könnte es nun aber eng werden für den Langzeitherrscher am Bosporus.
Die Wirtschaftskrise im Land stellt der Regierung ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus. Zudem steht sie wegen dem Krisenmanagement nach den verheerenden Erdbeben in der Kritik.
Das Oppositionsbündnis wittert Morgenluft. Und nach zähem Ringen hat es sich auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt: Kemal Kilicdaroglu.
Der 74-Jährige ist seit 2010 Vorsitzender der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, der grössten Oppositionspartei im türkischen Parlament.
Kompromissbereit, aber wenig charismatisch
«Die CHP ist säkular und war einmal die staatstragende Partei im Land», erklärt Philipp Scholkmann, Sonderkorrespondent von SRF in der Türkei. «Dann aber krempelte Erdogan mit seiner islamisch-konservativen AKP die politischen Verhältnisse im Land um.»
Heute ist die CHP vor allem in den grossen Städten am Mittelmeer sehr stark. Kilicdaroglu selbst stammt allerdings aus der ostanatolischen Provinz und gehört der religiösen Minderheit der Aleviten an.
Kilicdaroglu ist Befürworter einer EU-Mitgliedschaft und Verfechter eines nationalistischen Kurses bei Migrationsthemen. Er politisiert eher links der Mitte und hat sich als Kämpfer gegen Korruption einen Namen gemacht. «Er gilt als arbeitstüchtig und kompromissbereit – aber als wenig charismatisch», sagt Scholkmann.
Kein begnadeter Wahlkämpfer
Ob der Oppositionsführer Erdogan tatsächlich gefährlich werden kann, ist zwei Monate vor der Wahl schwierig einzuschätzen. In der Türkei wagen sich die Prognostiker kaum auf die Äste hinaus. Klar ist: Der langjährige Machthaber ist derzeit geschwächt.
«Allerdings gibt es auch Zweifel, ob Kilicdaroglu den nötigen Biss hat, um gegen Volkstribun Erdogan zu gewinnen», schätzt Scholkmann. Der türkische Präsident ist zwar angeschlagen. «Aber mit seinen feurigen Reden kann er noch immer die Massen mobilisieren.» Kommt hinzu: Bis jetzt hat die CHP noch keine nationale Wahl gegen Erdogan gewinnen können.
Das Oppositionsbündnis ist bunt zusammengewürfelt aus sechs sehr unterschiedlichen Parteien. Bevor es sich am Montag auf einen gemeinsamen Herausforderer einigen konnte, drohte es gar zu zerbrechen. Nach einer Kaskade an Krisensitzungen ist aber wieder Ruhe eingekehrt.
Für Kilicdaroglu spricht: Er ist bei kurdischen Wählerinnen und Wählern beliebt. Zudem dürfte die pro-kurdische Partei HDP keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Sie hat ein Stimmenpotenzial von etwa zehn Prozent und könnte bei den Wahlen zum Zünglein an der Waage werden.