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Noch keine systematische Aufarbeitung in der Türkei
Aus HeuteMorgen vom 13.02.2023. Bild: AP Photo/Khalil Hamra
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Erdbeben Türkei-Syrien «Kritiker sprechen von einem Versagen des Systems Erdogan»

Eine Woche nach der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien werden immer seltener Überlebende gefunden. Die Zahl der Todesopfer ist auf über 35'000 gestiegen, wie es offiziell heisst. Welche Probleme kommen nun in den Fokus und wo steht die Aufarbeitung in der Türkei? Ein Gespräch mit dem Journalisten Thomas Seibert. Er lebt in Istanbul.

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

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Thomas Seibert verdiente sich seine journalistischen Sporen bei der «New York Times» und den Nachrichtenagenturen Reuters und AFP, bevor er 1997 als freier Journalist in die Türkei ging. Nach einem kurzen Zwischenhalt als Berichterstatter in den USA kehrte er im Juni 2018 nach Istanbul zurück.

SRF News: Gewisse Rettungsteams beenden ihre Arbeit. Die Schweizer Rettungskette etwa kehrt heute nach Hause zurück. Ist die Suche nach Überlebenden abgeschlossen?

Thomas Seibert: In vielen Gebieten ist das so. Es werden zwar immer noch Überlebende gefunden, darunter ein 77-jähriger Mann, gestern eine 40-jährige Frau. Aber diese Fälle werden seltener. Wir treten jetzt in eine neue Phase ein nach diesem Unglück.

Was bedeutet das?

Jetzt geht es zunächst einmal um die Versorgung der Überlebenden, etwa um bessere Unterkünfte für die vielen Hunderttausenden Obdachlosen. Viele sind bisher einfach auf der Strasse oder in dünnen Zelten untergebracht. Besseres Essen, eine bessere medizinische Versorgung, auch eine Verbesserung der Sicherheitslage im Unglücksgebiet sollen gewährleistet werden. Wir hören in den letzten Tagen auch vermehrt Berichte über Plünderungen.

Es gibt vermehrt Berichte über Plünderungen.

Ausserdem werden jetzt zum ersten Mal Bilanzen publik. Ein türkischer Wirtschaftsverband schätzt, dass die Zahl der Todesopfer bei insgesamt 70'000 liegen dürfte. Und der wirtschaftliche Schaden wird auf mehr als 80 Milliarden Dollar geschätzt.

Die Zerstörung im Erdbebengebiet ist gewaltig. Hier ein Bild aus der südtürkischen Stadt Kahramanmaras.
Legende: Die Zerstörung im Erdbebengebiet ist gewaltig. Hier ein Bild aus der südtürkischen Stadt Kahramanmaras. AP Photo/Emrah Gurel

Rund 130 Personen werden verdächtigt, beim Bau gepfuscht zu haben. Kommt da noch mehr?

Man muss festhalten, dass das bisher Einzelfälle sind. Es werden einige Bauunternehmer gefasst, etwa beim Versuch, ins Ausland zu fliehen. Anderen soll es gelungen sein, aus der Türkei auszureisen.

Beamte oder Politiker, die Baugenehmigungen ausgesprochen haben, stehen bislang nicht im Fokus.

Die türkische Regierung sagt, sie werde hart durchgreifen gegen alle, die sich etwas zuschulden kommen liessen. Aber bisher sind nur Ingenieure und Bauunternehmer ins Visier der Justiz geraten, nicht etwa Beamte oder Politiker, die Baugenehmigungen ausgesprochen haben.

Das heisst, systematische Probleme im Bauwesen werden nicht untersucht?

Bisher jedenfalls nicht. Eigentlich steht aber fest, dass es systematische Fehler waren, die so vielen Menschen das Leben gekostet haben. Da waren zum Beispiel Bau-Amnestien durch die Regierung; Zehntausende baufällige Häuser wurden für legal erklärt, auch im Erdbebengebiet. Dazu kam viel Korruption.

Kritiker sehen auch in der Politik Fehler bei der Reaktion auf das Beben.

Kritiker, dazu gehört auch die Opposition, sehen auch in der Politik Fehler bei der Reaktion auf das Beben. Die Hilfe sei mancherorts zu spät gekommen, sagen sie. Sie sprechen von einem Versagen des Systems Erdogan.

Die anstehenden Wahlen sind immer noch auf den 14. Mai festgelegt. Kann man schon abschätzen, ob Präsident Erdogan an diesem Termin festhalten wird?

Die Debatte darüber beginnt erst. Eigentlich wollte Erdogan die Wahlen bekanntlich vom 18. Juni auf den 14. Mai vorziehen. Das Parlament könnte jetzt die Wahl wegen eines unvorhergesehenen Ausnahmezustandes aber um ein Jahr verschieben. So sieht es die Verfassung vor.

Die Rückkehr zum regulären Wahlkalender scheint am wahrscheinlichsten.

Das Vorziehen der Wahlen auf Mai scheint mir im Moment unmöglich. Aber ich glaube nicht, dass die Opposition dabei mitmachen wird, die Wahl um ein Jahr zu verschieben. Deswegen wohl die Rückkehr zum regulären Wahlkalender am wahrscheinlichsten. Das heisst, die Wahl findet wohl am 18. Juni statt.

Das Gespräch führt Rafael Günther.

SRF 4 News, 13.02.2023, 06:40 Uhr ; 

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