Polens Regierung fällt vor den Wahlen im Herbst durch spektakulär klingende Vorhaben auf: Wer eine Messe in der Kirche stört, dem drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Und eine Kommission soll russische Spione finden und vom öffentlichen Leben ausschliessen. Die in Warschau lebende SRF-Osteuropa-Korrespondentin Sarah Nowotny hat die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Unruhestifter in der Kirche: Warum braucht es dafür ein Gesetz?
Gerade junge Leute wenden sich im sehr katholischen Polen von der Kirche ab – und zwar schnell. Geht es so weiter, ist in etwa sechs Jahren die Mehrheit der jungen Leute nicht mehr praktizierend katholisch. Einige dieser Jungen gehen zwar noch in die Kirche, aber: Sie tragen Kleider in Regenbogenfarben, unterbrechen die Messe, schreien Forderungen nach Gleichberechtigung heraus, halten Plakate hoch, durch die sich die Gläubigen beleidigt fühlen. Das passiert oft in Polen, zuletzt vor einer Woche. Und die – meistens – älteren Messebesucher schockiert es.
Wer geht in Polen noch in die Kirche?
In Polen sehr viele Menschen. Die Kirche war lange Zeit Ort des Widerstands gegen den Kommunismus, es war fast schon ein politischer Akt, in die Kirche zu gehen. Noch heute sind die Kirchen sogar im liberalen Warschau am Sonntag so voll, dass manchmal die Türen offen gelassen werden, sodass die Leute noch von draussen teilnehmen können.
Was ist geplant für jene, welche die Messe stören?
Jemand, der die Messe so stark stört, dass sie unterbrochen werden muss, könnte für bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen. Jemand, der sie nur stört, für bis zu zwei Jahre. Nun könnte man sagen: Richter müssen ja nicht solch drakonische Strafen verhängen. Aber das Regierungslager, das strengere Strafgesetze will, kann Staatsanwälte und Richterinnen so zuteilen, dass sie in seinem Sinn entscheiden.
Wieso kommt das Gesetz genau jetzt?
Weil Polen diesen Herbst wählt. In ein paar Monaten geht es darum, ob die Konservativen an der Macht bleiben. Sie sind eng mit der Kirche verbandelt, wollen in jedem Lebensbereich ihre Vision Polens durchdrücken und stehen der liberaleren Opposition unversöhnlich gegenüber. Die Konservativen versuchen deshalb mit spektakulären Gesetzen zu mobilisieren: Wählt uns und ihr verteidigt das Christentum.
Wird ein solches Gesetz der Regierung tatsächlich helfen?
Den einen oder die andere bringt sie damit vielleicht an die Urne – Leute, die ohnehin ihrer Meinung sind, aber nicht wählen gegangen wären. Was aber ganz wichtig ist: Von den meisten spektakulär klingenden politischen Vorhaben, die auch im Ausland Schlagzeilen machen, bleibt am Schluss in Polen nicht viel übrig. Sei es, weil der internationale Druck wirkt. Sei es, weil Polen eine starke Zivilgesellschaft hat, weil sich die Menschen Extremes nicht so leicht gefallen lassen. Weil sie auf die Strasse gehen, vor Gericht auch – die Regierung hat längst noch nicht alle Gerichte unter ihrer Kontrolle.
Gibt es andere Beispiel für aufsehenerregende Gesetze?
Ja, vor einigen Wochen kündigte die polnische Regierung Massnahmen gegen russische Spione an. Eine Kommission, gespickt mit Parlamentariern der Partei an der Macht, hätte russische Spione finden und jahrelang vom öffentlichen Leben ausschliessen sollen. Nun dürfte es aber kaum russische Spione in Polen geben und die Kommission wurde von vielen als ein Mittel gelesen, um Politiker der Opposition vor den Wahlen loszuwerden. Nach Druck der polnischen Zivilgesellschaft, der EU und der USA ist aber auch von diesem Vorhaben nicht viel übrig geblieben.