Fast 200 Länder verhandeln derzeit an der Biodiversitätskonferenz in Montréal, wie sie das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten stoppen wollen. Jede Käferart, jedes Gras, jede Muschelart, die für immer verschwindet, ist grundsätzlich ein Verlust. Doch wir Menschen merken bis zu einem gewissen Punkt oft gar nichts davon.
Zum Beispiel das Rebhuhn: Nach dem Zweiten Weltkrieg hörte man seine Rufe noch fast überall auf den Äckern. Gut 10'000 Rebhühner lebten damals in der Schweiz. Unterdessen ist das Rebhuhn bei uns so gut wie ausgestorben. Das gleiche Schicksal erlebten auch das Acker-Knorpelkraut, die Mohn-Mauerbiene und verschiedene andere Tier- und Pflanzenarten, die auf Äckern und trockenen Wiesen vorkamen.
Nahrungsmittelproduktion verdoppelt
Der landwirtschaftliche Ertrag hingegen schnellte auf diesen Äckern und Wiesen in die Höhe. Er hat sich mit modernen Landmaschinen, Kunstdünger und Pestiziden gut verdoppelt. Der Mensch und seine Nahrungsmittelproduktion scheinen demnach nicht direkt vom Biodiversitätsverlust betroffen. Irgendwann aber dürfte sich das laut Fachleuten rächen. Wann das der Fall sein wird, ist schwierig vorherzusagen, sagt Insektenspezialist Pangiotis Theodurou von der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg.
Er beschäftigt sich mit der Bestäubung der Pflanzen. Je grösser die Vielfalt der Bestäuberinsekten ist, umso besser werden wilde Blütenpflanzen, aber auch Obstbäume und Feldfrüchte befruchtet. Aber obwohl die Zahl der Wildbienen und vieler anderer Bestäuberinsekten stark zurückgegangen ist, kam es noch nicht zu einem Kollaps. Trotzdem müsse man die Bestäuberinsekten unbedingt erhalten, sagt Theodorou. «Wir sollten nicht warten, bis es schlechter wird», mahnt er.
Biodiversität im Boden ist wichtig
Ähnlich sieht es bei der Fruchtbarkeit des Bodens aus. Tausende von Pilzen, Bakterien und Kleinlebewesen tragen dazu bei, dass die obersten Meter des Bodens leben und Pflanzen wachsen können. Marcel Vanderheiden ist Professor an der Universität Zürich am Departement für Pflanzen und Mikrobiologie. Er sagt: «Es ist nicht immer einfach, die Biodiversität direkt mit den Bodenerträgen zu verbinden, weil es viele andere Faktoren gibt, die die Biodiversität auch bestimmen. Unter anderem, wie viel gedüngt wird, wie der Boden bearbeitet wird und wo weiter.»
Sein Forschungsfeld sei noch relativ jung und man habe erst wenige verlässliche Resultate, sagt van der Heiden. Wo mögliche Kipp-Punkte lägen, lasse sich noch nicht sagen. Klar sei jedoch, dass Biodiversität im Boden umso wichtiger sei, wenn man mit möglichst wenig Pestiziden und Kunstdünger auskommen wolle. Und die Versuche unter künstlichen Bedingungen im Treibhaus zeigten: «Wenn die Biodiversität sehr tief ist, dann funktioniert das System nicht gut»
Gestörtes System erholte sich wieder
Umgekehrt zeigt das Beispiel des Yellow-Stone-Nationalparks in den USA, wie sich ein gestörtes ökologisches System wieder erholen kann. Bevor 1996 der Wolf dort wieder angesiedelt wurde, hatten die Wapiti-Hirsche alles kahlgefressen, sagt Doug Smith, der langjährige leitende Wildtierbiologe: «Vorher hatten wir viele Hirsche und wenige Vögel und Biber.»
Junge Weiden und Zitterpappeln gab es damals kaum mehr, entsprechend gab es weniger Singvögel. Nachdem die Wölfe den Hirschbestand um mehr als die Hälfte dezimiert hatten, erholte sich das System. Auch die Biber kamen zurück.