Schockiert ist Jugendanwältin Barbara Altermatt aufgrund der stark steigenden Zahlen nicht, aber nachdenklich stimme sie das schon. Sie sagt: «Grundsätzlich ist es so, dass Delinquenz immer eine Wellenbewegung ist. Ich fühle mich ungefähr zehn Jahre zurückversetzt, als das die Normalität war.»
Verabredung zum Trinken auf Socialmedia
In den Nullerjahren hatte die Jugendgewalt einen Höchststand erreicht, dann gingen die Zahlen runter bis vor kurzem, sagt Altermatt, die gleichzeitig Präsidentin der schweizerischen Vereinigung für Jugendstrafrechtspflege ist. Nun zeigt also der Trend wieder nach oben.
Auffällig ist, dass Massenschlägereien unter Jugendlichen zugenommen haben. Das stellt man auch im Kanton Zürich fest. Dort hat die Zahl der Gewaltdelikte unter Jugendlichen bereits 2019 um über ein Drittel zugenommen.
Marcel Riesen-Kupper, oberster Zürcher Jugendanwalt, sagt dazu: «Es sind spontan zusammengesetzte Gruppen, die sich auf Socialmedia zusammenfinden. Sie sind bis spät in die Nacht unterwegs und trinken Alkohol, mit angespannter Stimmung. Da genügt ein Reizwort, um eine Auseinandersetzung entstehen zu lassen.»
Was bringt ein Rayonverbot?
Gründe für die immense Zunahme kann man weder im Kanton Zürich noch schweizweit nennen. Barbara Altermatt sagt aber, dass Perspektivenlosigkeit und Chancenungleichheit in der Bildung mitverantwortlich seien. Wichtig sei, schnell zu handeln, mit individueller Beratung, aber zum Beispiel auch mit Rayonverboten für gewalttätige Jugendliche.
«Jedes Mittel lebt von seiner Umsetzung. Rayonverbote ermöglichen rasches Handeln. Aber sie bedürfen auch der Mittel zur Umsetzung», sagt Altermatt.
Bleibt noch die Frage, welche Rolle Corona für die Zunahme der Jugendgewalt gespielt hat. Das sei schwierig zu sagen, sind sich beide Jugendanwälte bewusst. Corona habe sicher eher mehr Ängste geschürt, meint Altermatt.
Welchen Einfluss hatte Corona?
Demgegenüber hält sich der Zürcher Jugendanwalt an die Zahlen. 2019 vor Corona habe man im Kanton Zürich eine Zunahme der Jugendgewaltdelikte von 35 Prozent gehabt, im letzten Jahr stieg die Anzahl Gewalttaten im Kanton Zürich nur noch um 6 Prozent.
«Wir schliessen daraus, dass Corona mindestens nicht zu einer Erhöhung der Gewalttaten geführt hat. Wir gehen davon aus, dass die Entwicklung der Gewalttaten unabhängig von Corona gelaufen ist», sagt Marcel Riesen-Kupper, leitender Oberjugendanwalt des Kantons Zürich.