ÖV-Fahren ohne Billett scheint ein neuer Volkssport zu sein. Vergangenes Jahr sind mehr als eine Million Mal Personen ohne gültiges Billett erwischt worden. So viele, wie noch nie. Der «Tages-Anzeiger» hat zuerst darüber berichtet.
Wer schwarz fährt, landet im nationalen Schwarzfahrer-Register. Dieses heisst eigentlich Zentrales Informationssystem «Synserv». Alliance Swisspass, die Branchenorganisation der ÖV-Betriebe in der Schweiz, hat das System vor rund fünf Jahren eingeführt.
Mit den Einträgen fällt es den ÖV-Betrieben einfacher, Personen zu ermitteln, die wiederholt ohne oder nur mit einem teilgültigen Fahrausweis fahren. «Sie bekommen auch einen Zuschlag, wenn es ein zweites oder drittes Mal passiert innerhalb von zwei Jahren», sagt Mediensprecherin Michaela Ruoss.
Jedes Jahr landen mehr und mehr Personen in dem Register. «Auf der einen Seiten sind mehr Menschen mit dem ÖV unterwegs. Dann beobachten wir eine gesellschaftliche Veränderung zu mehr Risikobereitschaft», sagt Ruoss zu den Gründen für den neuen Rekordwert. Ausserdem gebe es mehr und häufigere Kontrollen in Zügen, Bussen und Trams.
Bei den Kontrollen gehen vor allem junge Menschen ins Netz. Mehr als ein Drittel der Gebüssten war jünger als 26 Jahre. Die Zahlen zeigen, dass Männer öfter erwischt worden sind als Frauen. Und dass in der Westschweiz mehr Leute ohne Billett unterwegs waren als in der Deutschschweiz.
Schwarzfahrer wägen Vor- und Nachteile ab
Den typischen Schwarzfahrer oder die typische Schwarzfahrerin gibt es aus Sicht von Rolf Becker nicht. Er ist Professor am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Bern und hat zu kriminellem Verhalten geforscht, dabei ging es auch um Leute, die ohne Billett unterwegs sind.
Die Leute würden es sich ausrechnen, ob sich das Schwarzfahren lohne, sagt Becker. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie entdeckt werden? Und wie gross ist der mögliche Schaden? «Wenn der Vorteil den Nachteil des Entdecktwerdens überwiegt, tun es die Personen», sagt Becker.
ÖV-Branchenverband vertraut Fahrgästen
Ist Schwarzfahren hierzulande also zu einfach? «Das ÖV-System ist offen. Wir haben in der Schweiz keine Zutrittsschranken», sagt dazu Ruoss von Alliance Swisspass. Man vertraue auf die Fahrgäste.
Allerdings: die entgangenen Ticketeinnahmen kommen die ÖV-Betriebe teuer zu stehen. Alliance Swisspass geht davon aus, dass Fahren ohne gültigen Fahrausweis den Schweizer ÖV rund 200 Millionen Franken im Jahr kostet. Die Dunkelziffer sei hoch, sagt Ruoss.
Zutrittsschranken sind kein Thema
Für die Kontrollen sind die einzelnen ÖV-Betriebe zuständig. Sie würden selbst bestimmen, wo und wie oft Billette geprüft werden, sagt Ruoss. Zutrittsschranken seien kein Thema. «Das ÖV-System soll offen sein und offen bleiben.»
Die Logik ist für Becker von der Universität Bern einfach: Wenn einem das Schwarzfahren leicht gemacht wird, dann machen es die Leute auch. Scharfe Kontrollen würden die Leute hingegen abschrecken. «Nur auf die intrinsische Motivation zu setzen, ist ein netter Gedanke. Das wird aber auf Dauer nicht funktionieren», sagt er.