Im Kanton Waadt sind 16 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt – Tendenz steigend. In zwanzig Jahren wird dieser Anteil über 20 Prozent sein. Eine Herausforderung, der der Kanton mit seinem Programm «Vieillir 2030» (dt: «Altern 2030») begegnen will. Regierungsrätin Rebecca Ruiz sagt, als Vorsteherin des Gesundheitsdepartements habe sie erkannt, dass viele Menschen nicht wüssten, dass sie Anrecht auf Ergänzungsleitungen oder punktuelle Hilfen hätten.
Und so ist eines der Projekte von «Vieillir 2030» eine Beratung durch Avivo – eine Vereinigung, die die Rechte von Rentnerinnen und Rentnern verteidigt. Sie hilft seit letztem Jahr Seniorinnen und Senioren bei der Steuererklärung und macht gleichzeitig auf mögliche Leistungsansprüche aufmerksam.
Ein anderer Weg, das Altern zu erleichtern, sind neue Unterstützungsgelder des Kantons: Wer seine Mietwohnung altersgerecht machen will – zum Beispiel eine Dusche statt der Badewanne braucht – erhält neu bis zu 3000 Franken Zustupf. Die Idee dahinter: Der Kanton will, dass die Menschen möglichst lange zuhause wohnen.
Auch Projekte auf ganz anderer Ebene werden unterstützt. Am Kantonsspital CHUV stellt man fest, dass zunehmend mehr Menschen über 85 Jahre Antidepressiva verschrieben bekommen – ohne wirkliches Therapie- oder Ausstiegsziel. Dazu wird neu geforscht.
Innovativ oder unnötig?
Der Kanton Waadt geht das Thema Altern also auf vielen verschiedenen Ebenen an. Eine seiner Massnahmen ist schweizweit einzigartig. Ruiz ruft nämlich einen Senioren-Beirat ins Leben: Ab heute sind Waadtländerinnen und Waadtländer über 65 Jahre dazu aufgerufen, sich zu bewerben. Der Rat von etwa 20 Personen soll regelmässig zusammenkommen, um Massnahmen und Projekte der Regierung zu beurteilen und zu kommentieren.
Stellt sich die Frage: Ist das jetzt innovativ oder unnötig? Schliesslich gilt bei Urnengängen und Wahlen in der Schweiz seit Jahren: Je älter, desto höher die Beteiligung. Und auch institutionell sind die Seniorinnen und Senioren im Kanton Waadt nicht untervertreten: Im Kantonsparlament sind 24 von 150 Parlamentarierinnen und Parlamentariern über 65 Jahre alt. Sie sind also mit knapp 16 Prozent vertreten – genau wie in der Bevölkerung.
Betreibt der Kanton Waadt also nicht fast zu viel Senioren-Politik? «Nein», findet SP-Gesundheitsministerin Ruiz. «Die über 65-jährigen Parlamentarierinnen und Parlamentarier vertreten schliesslich vor allem ihre Partei und nicht ihre Altersgruppe.»
Möglichst viele Profile sollen vertreten sein
Das sehen auch die – stichprobenartig – angefragten Ü65-Parlamentarier so: Senior oder Seniorin ist kein Titel, mit dem sie sich identifizieren. Dass den Bedürfnissen der Älteren Rechnung getragen wird, stellt niemand in Frage. Allerdings fürchten bürgerliche Politiker, dass in solchen Beiräten letztlich nur Linke sitzen und sich selber bestätigen. Ruiz hält dagegen, dass die politische Gesinnung keine Rolle bei der Auswahl spiele. Wer über 65 sei und im Waadtland wohne, könne sich bewerben. Sollten zu viele wollen, entscheide das Los.
Allerdings will Ruiz, dass möglichst viele Profile im Beirat vertreten sind. Mann/Frau, Stadt/Land, Voll-, Teilzeit- oder Familienarbeit geleistet, mit Migrationshintergrund und ohne: Sie alle sollen durch ihre Alltagsbrille auf die Alterspolitik schauen – und für die Seniorinnen und Senioren in der Waadt Verbesserungen bringen.