«Die jungen Leute sind arbeitsscheu. Sie können oder wollen nicht arbeiten.» Die heutige Jugend nehme Kleinkredite auf, lebe über ihre Verhältnisse. Die Verschuldung habe massiv zugenommen. Das sind die Worte des Aarauer Betreibungsbeamten Peter Däster.
Er spricht aber nicht etwa über die Generation Y oder Z. Nein, diese Aussage stammt aus einem Radiobeitrag, der im Jahr 1984 auf SRF ausgestrahlt wurde – also vor 40 Jahren. Angesprochen sind damit die Babyboomer. Jene Generation, die sich heutzutage über die schlechte Arbeitsmoral der «heutigen Jugend» beschwert.
Die Jugend war nie so schlimm, wie über sie geredet wurde.
Dass sich der Aarauer Betreibungsbeamte 1984 genauso über die Jugend beschwert hat, wie es die Babyboomer heute tun, überrascht Christoph Mattes nicht. Mattes forscht seit 18 Jahren zum Thema Schulden und doziert an der Fachhochschule Nordwestschweiz im Bereich «Soziale Arbeit».
«Schlimm war sie nie», sagt Mattes über die Jugend. «Jedenfalls nie so schlimm, wie über sie geredet wurde.» Schon vor 40 Jahren sei die Verschuldung der jungen Bevölkerung ein grosses Thema gewesen. Im Radiobeitrag von 1984 spricht der Betreibungsbeamte von einer Zunahme von jeweils 15 bis 25 Prozent in den vergangenen Jahren.
Schulden – vom Risiko zum Geschäftsmodell
Seither habe sich die Situation nicht wirklich verschlechtert, betont Mattes. Die Verschuldung der Jugend verändere sich in einer Wellenbewegung auf und ab – je nach Wirtschaftslage.
Statt als Risiko, erkannte man Schulden als Potenzial.
Vor 40 Jahren war die Verschuldung in diesem Ausmass aber etwas Neues. Damals habe es einen Paradigmenwechsel gegeben, erklärt Mattes. Statt Schuldnerinnen und Schuldner als Risiko zu sehen, habe man ihr Potenzial erkannt. Denn: Wer Schulden hat, bezahlt Zinsen – und damit lässt sich gut Geld verdienen.
Heute ist die Verschuldung ein eigenes Geschäftsmodell: Wer Schulden hat, dem oder der gewähren Banken oder andere Kreditgeber weitere Kredite. Das jedoch nur zu höheren Zinsen.
Viele Parallelen zu 1984
Es gibt aber noch weitere Parallelen zwischen der Jugend von heute und von 1984. Die Tendenz, Waren zu bestellen, die man sich nicht leisten kann. Vor 40 Jahren waren es noch die Versandkataloge, die Jung und Alt zu unnötigen oder unüberlegten Käufen verführte.
Heute kann man online vom Schreibtisch aus Waren aus der ganzen Welt bequem zu sich nach Hause liefern lassen. Vor allem Corona hat den Onlinehandel in der Schweiz nochmals gestärkt. Zwischen 2019 und 2022 hat der Umsatz im Onlinesektor um rund 35 Prozent zugenommen, wie die Zahlen des Schweizer Handelsverbandes zeigen.
Gleiche Probleme – neue Lösungsansätze
Wer in der Schweiz nicht mehr aus eigener Kraft aus den Schulden herauskommt, der oder die hat heutzutage wenig Chancen, jemals wieder schuldenfrei zu leben. Das soll sich künftig ändern.
Der Bundesrat unterstützt die sogenannte «Restschuldbefreiung». Hoffnungslos verschuldete Personen sollen während vier Jahren alle verfügbaren Mittel an die Gläubiger abgeben und müssen nachweisen, dass sie sich um ein regelmässiges Einkommen bemühen. Nach Ablauf der vier Jahre werden die Restschulden erlassen und die betroffene Person kann nochmals ganz neu anfangen.
2022 hat der Bundesrat den Vorschlag zur Einführung der Restschuldbefreiung in die Vernehmlassung geschickt. Aktuell werden die Stellungnahmen der Parteien und Verbände ausgewertet, wie das Justizdepartement auf Anfrage mitteilt. Gemäss Zeitplan werde der Bundesrat in diesem Jahr die Botschaft dazu verabschieden.