Im «Arena»-Interview übt die ehemalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey Kritik an der Schweiz und ihrer Nahostpolitik: «Gerade die Schweiz als Land, welches das humanitäre Völkerrecht geprägt hat, sollte das internationale Recht als Priorität setzen.» Das tue sie aber nicht, sagt Calmy-Rey, die sich während ihrer Amtszeit als Aussenministerin für den Frieden in Nahost eingesetzt hatte.
Heute schäme sie sich manchmal für die «Doppelmoral der Schweiz». Einerseits habe das Land etwa gegenüber Russland Sanktionen ergriffen, weil das Völkerrecht angegriffen worden sei – was sie begrüsse. Andererseits, so Calmy-Rey: «Gegenüber Israel sieht man eine gewisse Toleranz.»
Man sehe nicht denselben Willen wie im Ukraine-Krieg. So weigere sich die Schweiz, Palästina als Staat anzuerkennen – gleichzeitig befürworte sie eine Zweistaatenlösung.
Droht nun der grosse Krieg?
In den vergangenen Wochen ist die Situation im Nahen Osten weiter eskaliert, der Konflikt weitete sich jüngst auf Libanon und Iran aus. Zwar blieb ein grosser Vergeltungsschlag von Israel bislang aus, doch man müsse angesichts der bisherigen israelischen Kriegsführung «mit allem rechnen, auch mit Überraschungen», sagt Sebastian Ramspeck, internationaler Korrespondent von SRF.
Ähnlich schätzt Islamwissenschaftler Reinhard Schulze die Lage ein: «Ich glaube, Israel will eine kontrollierte Eskalation.» Oberstes Ziel Israels sei, nachhaltige Sicherheit zu schaffen. Es könne sein, dass Israel das Momentum als so günstig erachte, dass es nun gar wage, «den Erzfeind Iran in die Knie zu zwingen».
Ich glaube, Israel will eine kontrollierte Eskalation.
Urs Saxer, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich, betont derweil, dass die Akteure die Eskalation gesucht hätten. Das im Völkerrecht verankerte Gewaltverbot sei klar verletzt worden. Zwar habe Israel das Recht, sich selbst zu verteidigen. Die Frage sei aber, wie dies ausgeübt werde. «Es gibt kein Recht auf Vergeltung oder Rache», so Saxer.
Schweiz hat Zahlungen an UNRWA sistiert
Für innenpolitische Diskussionen sorgen derweil die Gelder für das UNO-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge (UNRWA). Der Organisation wurde vorgeworfen, dass mehrere Mitarbeitende am Hamas-Massaker beteiligt gewesen seien, worauf die UNRWA mehrere Angestellte entliess. Der Nationalrat will die Gelder an die UNRWA nun stoppen.
Das sorgt für Unverständnis bei SP-Ständerätin Roth: «Es ist eine Katastrophe für alle Menschen im Gazastreifen, dass man diese Gelder jetzt nicht sprechen will.» Selbstverständlich müsse man alles dafür tun, die UNRWA zu verbessern. Doch deswegen die Menschen vor Ort nicht mit humanitärer Hilfe versorgen zu wollen, das sei der Schweiz «schlicht nicht würdig».
FDP-Nationalrat Portmann entgegnet: Die Schweiz habe die Zahlungen an die gesamte Region in den vergangenen elf Monaten verdoppelt. Auch würden weiterhin Hilfsgelder in den Gazastreifen fliessen – einfach nicht direkt an die UNRWA, weil das Hilfswerk Teil des Problems sei. «Wir fordern nur, dass in der URNWA Reformen stattfinden.»
Die Aussagen von Calmy-Rey sorgen bei FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann für «Unverständnis». Und auch SP-Ständerätin Franziska Roth betont, dass die Schweiz momentan im UNO-Sicherheitsrat «das Möglichste» tue – und sich etwa für die Freilassung aller Geiseln und einen Waffenstillstand einsetze. Dennoch könne die Schweiz noch aktiver sein, etwa bei der humanitären Hilfe, findet Roth.