«Manchmal arbeitete ich 60 Stunden pro Woche und übernahm Doppelschichten. Wegen des ständigen Wechsels von Tages- auf Nachtschicht fühlte ich mich wie mit einem Jetlag – als ob ich von New York nach Zürich geflogen wäre», erzählte Claudia Soltermann in der «Arena» von ihrer jahrelangen Tätigkeit als Pflegefachfrau.
Soltermann arbeitet derzeit im Spital Einsiedeln. Der Job auf der Notfallstation sei spannend und abwechslungsreich. Aber auch sehr anspruchsvoll. Sie sei erschöpft und wechsle deshalb in eine Temporärstelle. «Unzählige Mitarbeitende in der Pflege verlassen sogar die Branche», sagte Soltermann, «sie werden nicht zurückkommen».
Damit die Pflegefachkräfte im Beruf bleiben, brauche es bessere Arbeitsbedingungen, so Soltermann in der Sendung. «Im Vordergrund steht dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn 85 Prozent der Fachkräfte sind Frauen.» Aber auch Löhne und Absicherungen wie die Finanzierung der Pensionskasse müssten sich verbessern.
Lukas Engelberger, Präsident der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK, zeigte Verständnis: «Wir haben eine schwer belastete Situation.» Im letzten Jahrzehnt sei das Gesundheitswesen unter starken Kostendruck geraten. «Es braucht mehr Mittel, um Leute auszubilden. Um sie im Beruf halten zu können, bedarf es aber auch besserer Arbeitsbedingungen.»
Trotzdem: Dass nichts passiert sei, liess Engelberger nicht gelten. So sei die Ausbildungsleistung im Gesundheitswesen in den letzten Jahren signifikant erhöht worden. «Zwischen 2012 und 2019 haben die Bestände des in der Pflege tätigen Personals um 19 Prozent zugenommen.» Ausserdem sei mit der Umsetzung der Pflegeinitiative Besserung in Sicht.
Sind die Kantone in Verzug?
Die Pflegeinitiative wurde im November 2021 vom Stimmvolk angenommen. Die Umsetzung erfolgt in zwei Teilen. Während das Parlament mit der Ausbildungsoffensive den ersten Teil bewilligt hat, arbeitet der Bund gegenwärtig Vorschläge für das zweite Umsetzungspaket aus. Dieses sieht Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege vor.
Es braucht dringend Sofortmassnahmen.
Für Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Berufsverbands der Pflegefachfrauen und -männer, geht es zu wenig schnell vorwärts. «Es zeigt sich, dass die Hälfte der Kantone noch nicht bereit ist, etwa in Bezug auf die Ausbildungskonzepte oder die Bedarfsplanung der Institutionen.» Gleichzeitig seien aufgrund des Personalmangels Tausende Betten geschlossen. Ribi forderte deshalb Sofortmassnahmen, um die Situation zu entschärfen. «So können wir diejenigen, welche noch im Beruf sind, im Beruf halten. Auf ihnen bauen wir unsere künftige pflegerische Versorgung auf.»
Die Umsetzung des ersten Teils der Pflegeinitiative sei auf Kurs, entgegnete Mitte-Ständerat Erich Ettlin. Der Wille der Kantone sei da, aber es brauche Zeit. «Auch die Arbeitgeber und Sozialpartner sind gefordert, die geeigneten Bedingungen herzustellen. Die Kantone können nicht alles lösen.» Überdies dürfe man das Gesamtsystem nicht ausser Acht lassen, so Ettlin. Es bestehe ansonsten die Gefahr, dass die Probleme der Spitäler auf die Spitex oder die Alters- und Pflegeheime verlagert würden.
Ohne ausländische Fachkräfte geht es nicht
Zu dieser ganzheitlichen Sichtweise gehöre auch die Bekämpfung von Fehlanreizen im Finanzierungssystem, pflichtete SVP-Nationalrätin Martina Bircher bei. «Wir hatten noch nie so hohe Gesundheitskosten. Und trotzdem haben wir ein Problem.» So sei etwa erwiesen, dass zehn bis 20 Prozent der Operationen unnötig seien. Das gelte es zu verhindern. Den Mangel an Fachkräften führte Bircher überdies auch auf die Zuwanderung zurück. «Mehr Menschen brauchen auch mehr Spitalbetten und mehr Pflegefachkräfte.»
«Wir hätten die Pandemie nicht überlebt ohne unser Pflegepersonal, von dem ein Drittel keinen Schweizer Pass hat», widersprach Katharina Prelicz-Huber, Nationalrätin Grüne. Auch belaste die Migrationsbevölkerung das Gesundheitswesen nicht überproportional. «Im Gegenteil, wir können dankbar sein, dass wir diese Menschen haben.» Ohne hinreichendes Personal könne man Patientinnen und Patienten nicht angemessen versorgen. «Das darf für beide Seiten nicht so sein.»