«Pflegen bis zum Kollaps? Ohne uns». Unter diesem Motto haben am Wochenende mehrere Hundert Pflegefachkräfte auf dem Bundesplatz in Bern für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn demonstriert. Die Umsetzung der Pflegeinitiative dauert ihnen zu lang.
Es tue sich schon einiges für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen, entgegnen Kantone und Arbeitgeber. Darunter Kristian Schneider, Direktor des Spitalzentrums Biel und Vorstand des Spital-Branchenverbands H+. Nach seinen Worten ist die «Bundespolitik extrem schnell und so schnell wie wahrscheinlich selten in der Schweiz». Der erste Teil der Initiative stehe nach einem Jahr kurz vor der Umsetzung, der zweite Teil sei auch schon in Beratung.
Die Bundespolitik ist extrem schnell und so schnell wie wahrscheinlich selten in der Schweiz.
Auch operativ habe die Pflegeinitiative Dampf erzeugt, findet Schneider. Viele Spitäler, Alters- und Pflegeheime und die Spitex hätten Arbeitsbedingungen verbessert. Im Spitalzentrum Biel etwa habe es für jene im 24-Stunden-Dienst eine strukturelle Lohnerhöhung gegeben. Dazu zwei frei planbare zusätzliche Ferientage und einen Mobilitätsbonus für den öffentlichen Verkehr. Zudem mehr Möglichkeiten für die Betreuung der Kinder der Angestellten. Die Rückmeldungen des Personals seien positiv.
Rasche Verbesserungen per Arbeitsgesetz verlangt
Der Bundesrat hatte bekanntlich beschlossen, die Pflegeinitiative in zwei Etappen umzusetzen. In der anstehenden Wintersession steht die Ausbildungsoffensive bei den Pflegeberufen zur Debatte. Das entsprechende Bundesgesetz sollte abschliessend behandelt werden.
SP-Nationalrätin Barbara Gysi, oft politisches Gesicht der Pflegeinitiative genannt, attestiert den Akteuren, dass im letzten Jahr einiges gegangen ist. Allerdings sei das Ganze sehr schlecht koordiniert, und im Moment laufe eine Art Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte.
Das Ganze ist sehr schlecht koordiniert. Im Moment läuft eine Art Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte.
Gysi verlangt, dass es nun mit dem zweiten Teil der Pflegeinitiative vorwärtsgeht, welcher die Arbeitsbedingungen verbessern soll: Hier müsse der Bund Vorgaben machen, etwa im Arbeitsgesetz mit verbindlicheren Arbeitsplänen. Auch unregelmässige Arbeitszeit und Nachtarbeit seien besser abzugelten.
Kantone: Jede Verbesserung kostet
Über die Umsetzung der Pflegeinitiative hinaus verlangen Gewerkschaften und Berufsverbände Sofortmassnahmen wie mehr Lohn und höhere Zulagen. «Jede Verbesserung der Arbeitsbedingung, die auch zur Attraktivität beiträgt, muss bezahlt werden – entweder durch Prämien oder durch Steuergelder», gibt Michael Jordi zu bedenken.
Jede Verbesserung der Arbeitsbedingung, die auch zur Attraktivität beiträgt, muss bezahlt werden.
Der Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren nennt den Teuerungsausgleich, mehr Kita-Plätze, die Verkürzung der Arbeitszeit und die Erhöhung der Nacht- und Wochenendzulagen.
Kein Geld für Löhne, aber für Investitionen?
Mathias Binswanger hat dazu eine Beobachtung gemacht, die ihn erstaunt: Gehe es um die Löhne, habe man zu wenig Geld, gehe es hingegen um Investitionen, sei Geld vorhanden, sagt der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Entscheidend ist am Schluss, was es für die Patientinnen und Patienten bringt.
«Entscheidend ist am Schluss, was es für die Patientinnen und Patienten bringt. Vielleicht bringt es diesen ja mehr, wenn Pflegende besser bezahlt sind und bessere Arbeitsbedingungen haben», bemerkt Binswanger. Und vielleicht sei es auch weniger wichtig, ob die Pflegeleistungen in einem ganz neuen Gebäude stattfinden: «Auch dieses ganze System müsste man einmal überdenken.»