Yvonne Ribi ist nicht zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Lohnverhandlungen. Die Geschäftsführerin beim Berufsverband der Pflegefachfrauen und -Fachmänner (SBK) erklärt: «Wir haben in den Verhandlungen festgestellt, dass uns die Arbeitgeber mit Lohnrunden entgegenkommen möchte, aber sie sind angesichts der Energiepreise und der Inflation kaum in der Lage, anständige Lohnentwicklungen anzubieten.»
Die meisten Pflegenden brauchen mehr Erholungszeit, um sich von den strengen Schichten zu erholen.
Von knapp zwei bis gut drei Prozent mehr Lohn reichten die bisherigen Abschlüsse, bei einer Teuerung von drei Prozent. Doch der Lohn allein sei nicht entscheidend, betont Ribi: Das Gesamtpaket müsse stimmen – Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, um den Exodus des Pflegepersonals zu stoppen.
Mehr Erholung statt mehr Lohn
«Was es dringend braucht, sind Sofortmassnahmen, die in den Erhalt des Personals investieren. Alle Massnahmen, die zu mehr Erholungszeit führen, die mehr Anreize geben, Schichten zu machen und welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stützen, sind willkommen», sagt Ribi.
Denn die Pflege sei zwar der schönste Beruf überhaupt – sagt die ausgebildete Pflegefachfrau – aber sie weiss aus Erfahrung, «dass die meisten Pflegenden mehr Erholungszeit benötigen, um sich von diesen strengen Schichten erholen zu können. Die Schichten sind physisch und psychisch anstrengend.»
Beispiele für neue Arbeitszeitmodelle gibt es – etwa das Spital Wetzikon, das die Arbeitszeiten verkürzt hat: Wer Schicht arbeitet, muss zehn Prozent weniger lang arbeiten, bei gleichem Lohn.
Ein Regierungsrat kann nicht von heute auf morgen entscheiden, für das Pflegepersonal mehr Geld zu sprechen.
Die Spitalgruppe Lindenhof in Bern hat ihre Nachtzuschläge erhöht, und wer regelmässig Schicht arbeitet, bekommt eine Woche mehr Ferien. Und das Kantonsspital Winterthur investiert 17 Millionen Franken in ein Massnahmenpaket, das neben dem Teuerungsausgleich auch höhere Schichtzulagen und mehr Stellen vorsieht, um das Personal zu entlasten.
«Jede Mehrausgabe ist ein parlamentarischer Prozess»
Annette Grünig von der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) betont: «Die Betriebe und Kantone können und sollen Massnahmen ergreifen. Es gibt auch Beispiele, dass sie das bereits tun.
Aber jede staatliche Mehrausgabe durchläuft einen parlamentarischen Prozess und steht in Konkurrenz zu anderen Budgetbereichen. Ein Regierungsrat kann nicht von heute auf morgen entscheiden, für das Pflegepersonal mehr Geld zu sprechen.»
Mit andern Worten: Ob mehr Lohn oder bessere Arbeitsbedingungen, beides kostet und das Geld ist knapp. Doch man könne nicht länger warten, ist Yvonne Ribi vom Berufsverband der Pflegefachleute überzeugt. Es brauche deshalb einen Rettungsschirm, wie für die Energiebranche.
Eine flächendeckende Einsicht, dass es diesen Rettungsschirm jetzt braucht, sehen wir leider nicht.
Denn auch das Gesundheitswesen sei systemrelevant. Doch sie sagt: «Eine flächendeckende Einsicht, dass es jetzt diesen Rettungsschirm braucht, um die pflegerische Versorgung in der Schweiz aufrechtzuerhalten, das sehen wir leider nicht.»
Zwar fordert die vom Volk angenommene Pflege-Initiative nicht nur eine Ausbildungs-Offensive – diesen Teil hat das Parlament in Bern bereits umgesetzt – sondern auch bessere Löhne und Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal. Diesen Teil muss das Parlament erst noch umsetzen. Und viele Kantone warten derzeit noch das Resultat dieser Beratungen ab.