Zusätzliche Milliarden für eine modernisierte Armee: Der Ukraine-Krieg und die geopolitischen Spannungen beeinflussen die Sicherheitspolitik der Schweiz. Die bürgerlichen Parteien im Nationalrat wollen rasch aufrüsten. SRF-Bundeshausredaktorin Christine Wanner klärt im Vorfeld der grossen Armeedebatte die wichtigsten Fragen.
Mit welchen Bedrohungsszenarien rechnet die Armee?
Eine flinke Cybertruppe, rasch vor Ort nach Naturereignissen wie Überschwemmungen oder Bergstürzen, in friedensfördernden Einsätzen: Dieses Bild der Schweizer Armee soll nach dem Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine und den zunehmenden geopolitischen Spannungen ändern. Das Verteidigungsdepartement hat seine Szenarien möglicher Bedrohungen für die Schweiz angepasst. Das wirkt sich auf die nötige Ausrüstung der Armee aus, auf das Tempo sowie auf die Kosten. Das steht derzeit zur Debatte im Parlament.
Die Bedrohungsszenarien in der Armeebotschaft 2024
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Bild 1 von 6. Hybride und militärische Bedrohung aus der Distanz. Dieses Szenario wird für die nächsten Jahre als unwahrscheinlich bis wahrscheinlich erachtet. Mögliche Folgen wären Versorgungsengpässe, verstärkte Migration, politischer und wirtschaftlicher Druck, Beeinflussung, Cyberangriffe und die Bedrohung durch Drohnen oder Lenkwaffen. Bildquelle: Keystone/Peter Schneider.
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Bild 2 von 6. Hybride und militärische Bedrohung aus der Distanz. Zu den bestellten F-35 (im Bild) und der Boden-Luft-Abwehr müsste die Armee zusätzlich investieren, um den unteren und mittleren Luftraum verteidigen zu können. Auch braucht es zusätzliche Mittel, um den Luftraum zu überwachen. Die Bodentruppen müssten zudem in der Logistik und in der Cyberabwehr verstärkt werden. Bildquelle: Keystone/Ennio Leanza.
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Bild 3 von 6. Ausrichtung auf einen eskalierenden bewaffneten Konflikt. Die Bedrohungen könnten in diesem mittleren Szenario durchaus gleichzeitig eintreffen – Cyberangriff, Bedrohung aus der Distanz und im Extremfall ein bewaffneter Angriff. Bildquelle: Keystone/Laurent Gillieron.
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Bild 4 von 6. Ausrichtung auf einen eskalierenden bewaffneten Konflikt. Die Armee muss breit gestärkt werden. Neben den erwähnten Punkten braucht es in diesem Szenario auch Waffensysteme für grössere Distanz sowie Lenkwaffen gegen Ziele am Boden. Dazu kommen grössere Vorräte an Munition und Treibstoffen. Bildquelle: Keystone/Gaetan Bally.
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Bild 5 von 6. Umfassender militärischer Angriff. Dieses Szenario gilt laut Armeebotschaft kurz- bis mittelfristig als unwahrscheinlich. Ein solcher Angriff würde aus dem Luftraum beginnen, später wären auch Bodentruppen involviert. Bildquelle: Keystone/Christian Beutler.
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Bild 6 von 6. Umfassender militärischer Angriff. Neben den bereits erwähnten Mitteln braucht die Armee in diesem Szenario zusätzliche Mittel über alle Distanzen, erhöhten Schutz am Boden, verbesserte Vernetzung, Kommunikation, Sanität. Bildquelle: Keystone/Martin Rüetschi.
Der Bundesrat will die Armee auf das mittlere Szenario vorbereiten: Cyberangriffe, Bedrohung auf Distanz und im Extremfall ein bewaffneter Angriff. Dafür müsste die Armee breit aufgestellt sein. Sie müsste den Luftraum besser überwachen und verteidigen können als heute. Cyberabwehr, Bodentruppen und Logistik müssten verstärkt werden. Zusätzlich wären Waffensysteme für mittlere und grössere Distanzen nötig, mehr Munition und Treibstoffe.
Wer soll das bezahlen – und wann?
Ursprünglich wollten Bundesrat und Parlament die zusätzlichen Mittel für die Armee bis 2035 auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) heben. Doch der Ständerat will mehr Tempo: In der Sommersession hat er den Umfang der Armeebotschaft 2024 um vier Milliarden auf rund 30 Milliarden Franken angehoben. Das entspräche einem Anheben der Mittel auf 1 Prozent des BIP bis 2030.
Woher kommen die vier Milliarden?
Die zuständigen Kommissionen des Nationalrates stellen sich zwar hinter diesen Entscheid. Allerdings: Die Idee, diese Gelder andernorts einzusparen, fiel durch. Gerade die Forderung, dafür zwei Milliarden aus dem Budget der Internationalen Zusammenarbeit IZA zu streichen. Zudem krebste der Ständerat zurück: Anfang der Herbstsession wollte er diese Mittel nicht mehr zugunsten der Armee einsparen.
Ein Fonds oder höhere Steuern?
Nach dem Scheitern eines Fonds, der Ukraine-Hilfe und Armee-Mittel regeln wollte, greift die zuständige Kommission erneut zu einer Fonds-Idee für die zusätzlichen Armee-Milliarden. Der Entscheid fiel denkbar knapp aus. Deswegen ist fraglich, ob der Plan im Parlament überzeugt.
Dabei geht es um ein Darlehen des Bundes (Tresoreriedarlehen) von zehn Milliarden Franken für das nächste Jahrzehnt. Da diese Mittel nicht der Schuldenbremse unterliegen, hätten die zusätzlichen Armeeausgaben keinen Einfluss auf die anderen Bundesausgaben. Allerdings: die Milliarden müssten zurückbezahlt werden.
Ein weiterer Vorschlag möchte dafür die Mehrwertsteuer erhöhen. Diese Idee schliesst der Bundesrat zwar nicht aus, doch bleibt fraglich, ob die Idee mehrheitsfähig ist. Widerstand von den zwei grössten Parteien – der SVP und der SP – wäre gewiss.
Angesichts des finanzpolitischen Verteilkampfs und der Begehrlichkeiten bleibt der Ausgang dieser Debatte äusserst ungewiss.