Nächstes Jahr sind bei der Bahn so viele Streckensperrungen geplant, dass der Bund vor einem Wettbewerbsnachteil für die Schiene warnt – und Entlastungsmassnahmen prüfen will. Auch Bahnpassagiere werden die Baustellen auf der Nord-Süd-Achse zu spüren bekommen.
Zum Beispiel die Simplonroute, vom Wallis Richtung Mailand: Auf der italienischen Seite wird im nächsten Jahr kräftig gebaut. Einzelne Abschnitte sind bis zu drei Monate voll gesperrt. Heisst: kein Zugverkehr, weder für Güter noch für Passagiere, dafür Umsteigen auf Ersatzbusse, weniger Platz oder grossräumige Umleitungen.
Eigentlich ist 2024 das ganze Kalenderjahr irgendwo mit einer Baustelle und einer totalen Sperre belegt.
Für Gotthard-Güterverkehr kommt es knüppeldick
Für den Güterverkehr ist das noch nicht alles: Im August wird gleichzeitig auch noch der Rangierbahnhof in Chiasso umgebaut, auf der Gotthardroute. Und bei Bellinzona steht zur selben Zeit nur ein Gleis zur Verfügung. Dazu kommen Baustellen auf der Alpennordseite.
Frank Furrer, Generalsekretär des Verbands der verladenden Wirtschaft, sagt: «Eigentlich ist 2024 das ganze Kalenderjahr irgendwo mit einer Baustelle und einer totalen Sperre belegt.» Eine Liste des Bundesamts für Verkehr BAV zeigt 15 Baustellen auf der Nord-Süd-Achse – viele mit sogenannten Vollsperrungen.
Faktenblatt zu Streckensperrungen
Deutschland baut noch jahrelang
Und das gilt nicht nur für die Schweiz und Italien. Auch in Deutschland, auf dem ganzen Rhein-Alpen-Korridor, wird gebaut. Besonders anspruchsvoll würden die kommenden drei Jahre, so Andreas Windlinger vom BAV. Und weil die Zeitfenster für die Arbeiten immer enger werden und der Bedarf an Unterhalt und Ausbau steigt, gibt es auch zunehmend Vollsperrungen.
Verantwortlich für die Durchführung und auch für die internationale Koordination der Baustellen sind aber die Infrastrukturbetreiber. Furrer kritisiert, diese würden sich in der Baustellenplanung nicht wirklich befriedigend koordinieren.
Baustellen kaum vermeidbar
Wichtigster Infrastrukturanbieter in der Schweiz ist die SBB. Deren Mediensprecher Daniele Pallecchi sagt, selbstverständlich spreche man sich international ab und versuche, Einschränkungen so klein wie möglich zu halten. Zur Baustellenliste des Bundes sagt er: «Das scheint vielleicht wie eine Häufung zu sein. Aber tatsächlich ist es eine Herausforderung, Unterhalt und Ausbau möglichst kundennah – also dass die Kundinnen und Kunden das nicht spüren – über die Bühne zu bringen.»
In der Tat anerkennen alle Involvierten, dass sich die Baustellen kaum vermeiden lassen. Anbieter des Güterverkehrs aber kritisieren die Prioritätensetzung der SBB bei den Ausweichkonzepten. Furrer: «Wir haben derzeit Schwierigkeiten mit der Zusammenarbeit bei der Planung. Die SBB plant derzeit wieder sehr stark im Interesse des Personenverkehrs.» Das sei merkbar, seit die Cargo-Tochter wieder zu 100 Prozent in SBB-Besitz sei.
Suche nach Alternativen für Güterverkehr
Beim Bund erkennt man im kommenden Jahr so grosse Einschränkungen für den Güterverkehr auf der Schiene, dass das BAV Entlastungen prüfen will. Man wolle die Branche nochmals anhören und schauen, was man tun könne, damit es jetzt möglichst nicht zu Verlagerungen auf die Strasse komme, sagt Windlinger. Neben reservierten Kapazitäten für den Güterverkehr im eingeschränkt verfügbaren Gotthard-Basistunnel können das etwa Massnahmen sein bei Trassenpreisen und beim Bahnstrom.