Dass Sonnenlicht unerträgliche Schmerzen verursacht, hätte sich Monika Lehmann nie vorstellen können. Ende 2020 steckte sich die Pflegefachfrau mit dem Coronavirus an. In den Wochen darauf entwickelte sie eine extreme Lichtempfindlichkeit. «Es fühlte sich an, als würde ich innerlich verbrennen», erzählt sie im «Club» von SRF.
«Ich habe im Spital darum gebettelt, betäubt zu werden.» Noch heute kämpft Lehmann mit massiven Symptomen. Und es kam ein zweiter Kampf dazu: der gegen die Versicherungen. So weigerte sich die Unfallversicherung ihres Arbeitgebers, ihre Krankheit als Berufskrankheit anzuerkennen.
Florence Isler kennt hunderte solcher Geschichten. Sie ist Vizepräsidentin von «Long Covid Schweiz» und leidet ebenfalls unter Langzeitfolgen. Viele Mitglieder ihres Vereins fühlen sich von Behörden und Versicherungen im Stich gelassen, wie Isler sagt: «Es geht uns so schlecht und wir kriegen keine Hilfe.»
Ein zweites Gesuch einzureichen, wenn die Krankenkasse die Reha beim ersten Anlauf nicht bewilligte oder eine Anmeldung bei der Invalidenversicherung (IV) auszufüllen: Dazu seien die meisten Betroffenen schlicht nicht in der Lage, sagt Isler. Sie selbst habe lange nicht einmal einen Brief öffnen oder ein Formular unterschreiben können.
Die Versicherungen verhielten sich sehr defensiv, würden nichts daran setzen, den Prozess für die Betroffenen zu vereinfachen, findet Isler. «Sie haben kein Interesse, zu zahlen. Warum würden sie also wollen, dass wir uns anmelden?»
Direkte Kritik richtet Isler an die IV: «Wir rennen gegen Wände.» Manchem Betroffenen von Long Covid werde schon beim ersten Telefongespräch mit der IV deutlich gemacht, dass die Chancen schlecht stünden, Leistungen zu erhalten.
Florian Steinbacher ist Präsident der IV-Stellen-Konferenz, des Verbands der 26 kantonalen IV-Stellen. Er stellt sich im «Club» Islers Vorwürfen: «Wir sind eine Sozialversicherung, wir müssen keine Rendite erwirtschaften.» Man stosse niemanden weg, sondern nehme jeden einzelnen Fall ernst, so Steinbacher. «Die IV wendet Gesetze an. Wer Anspruch auf Leistungen hat, soll diese auch bekommen.»
Einheitliche Richtlinien gefordert
Solche geschilderten Erfahrungen mit der IV seien erschreckend, sagt Philipp Egli, Experte für Sozialversicherungsrecht. Er geht davon aus, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handle.
2015 urteilte das Bundesgericht, dass die IV auch Beschwerden ohne klare organische Ursache anerkennen muss. Seither gibt es ein strukturiertes Abklärungsverfahren für solche Fälle. «Das Verfahren ist in der Theorie gut», sagt Egli. «Die Frage ist, wie es angewendet wird.» Es sei wichtig, dass jeder einzelne Fall ergebnisoffen geprüft werde. Helfen könnten schweizweit einheitliche Richtlinien.
Das bestätigt auch Lungenarzt Gregory Fretz, der in seiner Long-Covid-Sprechstunde am Kantonsspital Graubünden über 150 Betroffene betreut hat: «Der Föderalismus ist hier nicht nur hilfreich.» Gewisse kantonale IV-Stellen würden proaktiv vorgehen, andere seien sehr zurückhaltend. «Es besteht Handlungsbedarf, das zu harmonisieren.»