Bundesratswahlen, wie die Schweiz sie kennt, sind ein politisches Ritual, das weltweit einzigartig ist. In dieses Siebnergremium gewählt zu werden, gehört für viele Politikerinnen und Politiker zum Höhepunkt ihrer Karriere. Viele arbeiten denn auch jahrelang auf dieses Ziel hin. Nur – es gibt keine Erfolgsgarantie, denn sehr viele, ja mitunter zu viele, Kriterien müssen erfüllt sein.
Wie wird man Bundesrat? Eine einfache Antwort gibt es nicht
Auf die Frage, wie man Bundesrat oder Bundesrätin wird, gibt es deshalb keine einfache und vor allem keine kurze Antwort. Es müsse sehr viel zusammenkommen, um in die Landesregierung gewählt zu werden, meint Politologe Georg Lutz. Man müsse in der richtigen Partei sein, aus dem richtigen Landesteil kommen, das richtige Geschlecht haben sowie nicht zu jung, aber auch nicht zu alt sein.
Es braucht auch etwas Glück, damit in einer Politikkarriere zum richtigen Zeitpunkt alles zusammenpasst.
Deshalb sei eine Bundesratskarriere nur bedingt planbar. Man könne aber gute Voraussetzungen schaffen, meint Bundesratskenner Lutz. Etwas vom Wichtigsten sei mittlerweile, dass man Mitglied von National- oder Ständerat sei oder zumindest gewesen sei. Die Mitglieder der Bundesversammlung wählten gerne Leute, die man kenne, denen man vertrauen könne.
Medientauglich, kompromissbereit, eigenständig
Immer mehr Bedeutung habe auch, dass man mediengewandt sei. Parteien würden mittlerweile auch sogenannte «Roadshows» durchführen. Dabei tingeln die Kandidaten und Kandidatinnen durchs Land und präsentieren sich dem Volk, obwohl Bundesratswahlen keine Volkswahlen sind. Bundesratskandidatinnen und -kandidaten müssten Teamplayer sein, ist Lutz überzeugt.
Allerdings sollten die Kandidierenden auch eine gewisse Eigenständigkeit besitzen, denn die Bundesversammlung will keine Parteisoldaten zum Bundesrat küren. Von selbst verstehe sich, dass Kandidatinnen und Kandidaten keine Leichen im Keller haben dürften. Findungskommissionen der Parteien durchleuchteten deshalb im Vorfeld die Personen, so Lutz.
Ist die Zeit der Überraschungen bei Bundesratswahlen vorbei?
Die Bundesversammlung ist absolut frei in ihrer Wahl. Jede stimmberechtigte Schweizerin und jeder stimmberechtigte Schweizer ist als Bundesrätin oder Bundesrat wählbar. Man muss weder einem Parlament noch einer Partei angehören.
In den letzten Jahren hat es sich aber eingebürgert, dass die Parteien der Bundesversammlung eine Auswahl präsentieren, in der Regel in Form eines Zweiervorschlags. Dies ist auch dieses Mal der Fall. Die SVP tritt mit einem Männerticket (Albert Rösti, Hans-Ueli Vogt) an, die SP mit einem Frauenticket (Eva Herzog, Elisabeth Baume-Schneider).
Alle Kandidaten seien parteiübergreifend wählbar, damit steige der Druck auf die Bundesversammlung, sich daranzuhalten, meint Lutz. Komme hinzu, dass die SVP seit der Abwahl von Christoph Blocher vor 15 Jahren nicht-offizielle Kandidierende bei einer allfälligen Wahl automatisch aus der Partei ausschliesst. Deshalb sei die Chance auf eine Überraschungswahl deutlich kleiner geworden.
Die Gelegenheit, Bundesrat zu werden, ist wie eine Sonnenfinsternis. Alles, wirklich alles muss stimmen – das Timing, die Konstellation, das Momentum.
Allerdings funktionieren Bundesratswahlen nach einer eigenen Dynamik. Auch, wenn die Parteien ihren Fraktionen mehr oder weniger verbindliche Wahlempfehlungen durchgeben, entscheidet in der geheimen Wahl jeder Parlamentarier und jede Parlamentarierin selbst, wem er oder sie letztendlich die Stimme gibt.
Dabei spielen auch eigene taktische Überlegungen sowie Sympathien eine nicht unwesentliche Rolle. Am Ende kann eine einzelne Stimme entscheidend sein. Die NZZ hat es unlängst treffend formuliert: «Die Gelegenheit, Bundesrat zu werden, ist wie eine Sonnenfinsternis. Sie kommt im Leben vielleicht einmal vor, und alles, wirklich alles muss stimmen - das Timing, die Konstellation, das Momentum.»
Ist man Bundesrat, geht's erst richtig los
Zwischen Bundesratswahl und Amtsantritt bleiben meist nur wenige Wochen. So werden die Nachfolger für die beiden Zurücktretenden, Simonetta Sommaruga (SP) und Ueli Maurer (SVP), am 7. Dezember gewählt. Bereits etwas mehr als drei Wochen später, am 1. Januar, treten sie ihr Amt an.
Im sogenannten «Aide-Memoire» für Bundesräte steht nur knapp, dass die Bundeskanzlei das neue Mitglied der Landesregierung nach dessen Wahl in organisatorischen Belangen zur Vorbereitung des Amtsantritts unterstützt. Tatsächlich beginnt dieses «Briefing» bereits viel früher, wie Bundesratssprecher und Vizekanzler André Simonazzi erklärt.
Sobald die offiziellen Kandidatinnen und Kandidaten bestimmt seien, nehme die Bundeskanzlei Kontakt mit ihnen auf. Dabei würden die Bundesratsanwärterinnen und -anwärter etwa auf den Umgang mit Medien sensibilisiert, auch werde unter anderem abgeklärt, inwieweit Familienmitglieder von der Öffentlichkeit abgeschirmt würden.
Nach Annahme der Wahl ist man auf einen Schlag Bundesrätin oder Bundesrat
Nach der Wahl gibt es bereits am Folgetag wieder ein Treffen mit den neuen Bundesratsmitgliedern und Vertretern der Bundeskanzlei. Es müsse nun alles schnell gehen, sagt Simonazzi: «Denn nach Annahme der Wahl ist man auf einen Schlag Bundesrätin oder Bundesrat.»
Die neuen Mitglieder der Landesregierung erhalten ein eigenes Büro, ihnen wird erklärt, wie die wöchentlichen Bundesratssitzungen ablaufen. Sie müssten sich schnellstmöglich in die teils komplexen Dossiers einarbeiten. Dabei wissen sie erst nach der Wahl bei ihrer ersten Bundesratssitzung, welches Departement sie erhalten.
Eine eigentliche Einführung gibt es für neue Bundesräte nicht. Die Amtsübergabe muss reichen. Deshalb heisst es für die neuen Bundesratsmitglieder: Dossiers büffeln. Hier ist es von enormem Vorteil, wenn man zuvor bereits im National- oder Ständerat war. So kennt man die meisten Geschäfte bereits und weiss über den weiteren Verlauf Bescheid.
Bundesrat ist mehr als eine Arbeit – Bundesrat ist eine Funktion
Die Bundeskanzlei macht die neuen Bundesrätinnen und Bundesräte auch darauf aufmerksam, dass man 24 Stunden am Tag im Amt ist. Bundesrat sei keine gewöhnliche Arbeit, Bundesrat sei eine Funktion. Man müsse Lust haben, sich Tag und Nacht für das Gemeinwohl einzusetzen, sagt Simonazzi – und diese Lust hätten die Bundesräte, sonst würden sie in diesem Amt nicht überleben.
12-Stunden-Tage und eine 7-Tage-Woche sind für Bundesräte der Normalfall. Zudem finden viele Anlässe an Wochenenden statt, wo ebenfalls die Präsenz von Bundesräten gefragt ist. Gemäss Insidern sind zwei freie Abende in einer Woche eher die Ausnahme als die Regel. Am ehesten eigne sich der Mittwochabend dafür, nach den Bundesratssitzungen.
Auch Politologe Georg Lutz spricht von einer extremen Arbeitsbelastung. Man verzichte auf einen grossen Teil des Privatlebens und auch der Privatsphäre. Im Gegenzug sei es der wohl spannendste Job in der Schweizer Politik. Man sitze im Zentrum des Informationsflusses, habe eine grosse Verwaltung hinter sich. Wenn man das geschickt nutze und gute Koalitionen bilde, dann sei der Gestaltungsspielraum sehr gross.
Kaum Privatleben, dafür viel Prestige
Komme hinzu, dass man ordentlich verdiene, so Politologe Lutz – das Bruttojahreseinkommen beträgt 456‘854 Franken (Stand: 1. Januar 2022). Viel wichtiger als das Materielle sei aber das Ansehen. Bundesräte seien im Gegensatz zu anderen Politikern im Volk beliebt und erführen grosse Anerkennung.
Dass der Job Bundesrat beliebt ist, zeigt sich bei jeder Bundesratswahl wieder. Es gab bisher noch nie einen Mangel an Interessenten. Auch, wenn allen klar ist: Am Schluss kann pro frei werdendem Sitz nur eine oder einer gewinnen.