Daniel Jositsch, der inoffizielle Bundesratsanwärter der SP, erzielte am Mittwoch bis zu 70 Stimmen. Seither wird aufgeregt diskutiert, woher diese kamen. Im «Rundschau-Talk» vom Mittwoch beteuerte FDP-Chef Thierry Burkart, er wisse ziemlich genau, dass seine Fraktion praktisch ausnahmslos die offiziellen SP-Kandidaten gewählt habe. Seither weitet sich die Diskussion aus: Wie kann Burkart das wissen und wie steht es ums Wahlgeheimnis bei den Bundesratswahlen?
Die beiden FDP-Bundesräte wurden gestern komfortabel wiedergewählt, auch mit SP-Stimmen. Im Gegenzug habe die FDP die offiziellen SP-Kandidaten gewählt, das wisse er – so FDP-Präsident Thierry Burkart im «Rundschau-Talk»: «Ich bin durch die Reihen gegangen, ich habe mit den Leuten gesprochen und alle haben mir auch gesagt, sie hätten nach links und rechts geschaut, da gibt es eine gewisse Sozialkontrolle.»
Nationalrat Roland Rino Büchel (SVP/SG) hatte am Mittwoch eine wichtige Aufgabe. Als Chef-Stimmenzähler war er für eine reibungslose Wahl verantwortlich. Zu dem, was der FDP-Präsident «Sozialkontrolle» nennt, sagt er: «Diese Aussage von Thierry Burkart stellt vor allem die Fraktion der FDP infrage. Wenn Fraktionsmitglieder sich solche Methoden gefallen lassen, wenn das der Fall ist, dann sagt man: ‹Hey, schau mal geradeaus›, oder man deckt halt ab, was man auf den Zettel schreibt.»
Candinas: Soziale Kontrolle ritzt Wahlgeheimnis
Auch der ehemalige Nationalratspräsident Martin Candinas hat Bedenken. Für ihn ritzt diese soziale Kontrolle das bei Bundesratswahlen gesetzlich garantierte Wahlgeheimnis. «Ich würde mich zumindest in meiner Partei nicht wohlfühlen, wenn wir irgendwo eine soziale Kontrolle aufbauen würden, damit wir jeden kontrollieren können», so der Bündner Mitte-Nationalrat. «Am Schluss müssen wir nach dem Gesetz handeln und im Gesetz haben wir klar festgelegt, dass die Stimmabgabe bei Wahlen geheim sein soll.»
Der FDP-Präsident sieht das Wahlgeheimnis keineswegs infrage gestellt. Er betont, seine Parlamentarier hätten ihr Wahlverhalten von sich aus offengelegt. «Aufgrund dessen, dass man sehr eng sitzt und vermuten muss, dass der eine oder andere sieht, wen man gewählt hat, gehe ich davon aus, dass die Leute mir die Wahrheit gesagt haben. Das verstehe ich unter der faktischen ‹Sozialkontrolle›, die ich selbstverständlich nicht angewiesen habe.»