Der 19. März 2023 wird in die Polit- und Wirtschaftsgeschichte der Schweiz eingehen, und er wird nicht als ruhmreicher Tag in Erinnerung bleiben, sondern als einer, an dem mit einer schlechten Lösung eine katastrophale Eskalation verhindert werden musste. Zufrieden sein kann damit niemand.
Die politischen Folgen dieses Tages können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Einerseits für die Gesetzgebungsverfahren: Wohl noch nie hat sich eine mit viel Aufwand gezimmerte gesetzgeberische Lösung so schnell ad absurdum geführt wie die Regelung «too big to fail».
Monumentales Versagen von «too big to fail»
Bei der ersten wirklichen Prüfung merkt man, dass die Regelung in der Praxis nicht funktioniert, weil der Konkurs eines Teils der systemrelevanten Bank riesige Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten auslösen würde. Jede weitere Gesetzgebung im Rahmen des schweizerischen Finanzsystems wird sich an diesem monumentalen Versagen orientieren müssen.
Dann kann man sich auch fragen, wie in Zukunft die traditionell wirtschaftsfreundliche und wirtschaftsliberale Politik der Schweiz aussehen kann, wenn so offensichtlich wird, dass in gewissen Teilen der Wirtschaft Gewinne privatisiert und Verluste dem Staat übertragen werden. Wer immer sich in Zukunft traut, hohe Löhne und Boni bei Finanzinstituten und anderen Firmen zu verteidigen, weil man damit «die Besten» holen kann, wird nur Gelächter ernten.
Wer vom CS-Debakel profitieren dürfte
Drittens werden die Ereignisse der letzten Tage direkte Auswirkungen auf die nationalen Wahlen im Herbst haben. Jede nationale Wahl der letzten Jahrzehnte wurde von fundamentalen Ereignissen und gesellschaftlichen Forderungen geprägt: 2011 Fukushima und die AKW-Fragen; 2015 die Flüchtlingskrise; 2019 die Klima- und die Frauenfrage; und 2023 dürften es das verantwortungslose Gebaren der Banken, speziell der CS-Führungsriege, und die Rettungsaktion des Bundes sein.
Die Frage ist jetzt: Wer profitiert? Das dürfte einerseits die SP sein, die ab sofort noch viel lauter auf den Widerspruch hinweisen wird, dass man bei Themen wie Sozialleistungen, Mindestlöhnen und Altersvorsorge in der Schweiz immer genau aufs Geld schaut und viele Bedingungen stellt, bevor Geld ausbezahlt wird. Andererseits aber dort, wo es um richtig viel Geld geht, wie jetzt bei der CS-Rettung oder bei der gesamten Regelung «too big to fail», wo kaum Bedingungen gestellt werden.
Dann dürfte auch die SVP profitieren, die weiter die aktuelle Lösung der CS-Übernahme und die verantwortlichen politischen Behörden kritisieren und sicher genug Widersprüche finden wird. Sie wird sich noch stärker als die Partei des kleinen Mannes und der kleinen Frau, die von der «classe politique» enttäuscht sind, profilieren können.
Schwere Ausgangslage für die politische Mitte
Schwierig wird es für die Parteien der politischen Mitte, die sich grundsätzlich für wirtschaftsfreundliche Lösungen aussprechen; wie wollen sie diese ihren Wählerinnen und Wählern in Zukunft verkaufen? Am schwierigsten wird es die FDP haben, die nach wie vor als die Wirtschaftspartei gilt und dann eben auch den Kopf hinhalten muss für die Verfehlungen und die Auswüchse in der Wirtschaft. Die SVP ist gestern mit ihrem Vorwurf des «FDP-Filz» bereits auf Distanz gegangen.
Der Niedergang der Credit Suisse ist aber nicht nur ein politisches und wirtschaftliches Erdbeben, sondern auch ein emotionales. Es wird wohl noch ein paar Tage und Wochen dauern, bis bei der Bevölkerung die Erkenntnis so richtig ins Bewusstsein gesackt ist, dass es die Credit Suisse, die als Schweizerische Kreditanstalt SKA untrennbar mit dem Aufstieg der Industrie- und Wirtschaftsnation Schweiz verbunden ist, ohne die es wahrscheinlich auch keinen Gotthard-Eisenbahntunnel gegeben hätte – dass es diese Credit Suisse nach 167 Jahren bald nicht mehr geben wird.
Das ist ein Schock. Dafür muss man nicht mal, wie der Schreibende, die ersten zehn Jahre seines Berufslebens bei der Credit Suisse verbracht haben.