In den USA haben sie begonnen, inzwischen kommt es in mehreren Ländern zu propalästinensischen Demonstrationen an Universitäten – auch in der Schweiz. In welcher Tradition stehen diese? Der Experte ordnet ein.
SRF News: Wie viel Politik steckt in der modernen Universität?
Christian Koller: Schon zu den frühen Zeiten der Schweizer Universitäten im 19. Jahrhundert gab es politisch gefärbte Studentenorganisationen, die für liberal-freisinnige oder katholische Kräfte eine Art Nachwuchskaderschmieden darstellten. Diese wurden von den Hochschulen anerkannt und waren meist gar Teil des traditionellen Uni-Zeremoniells, etwa am Dies Academicus.
In den 1930er-Jahren entstand innerhalb der Studentenschaft eine politische Polarisierung. An der Universität Zürich gab es sowohl eine marxistische Hochschulgruppe als auch eine von der rechtsextremen Nationalen Front. Da wurden etwa Flugblätter verteilt. Doch das war auf einer anderen Ebene als die Besetzungen oder Demonstrationen, die danach kamen.
Ab wann wurde daraus denn politischer Aktivismus?
Die Geschichte der Studentenproteste beginnt eigentlich erst ab 1968. Ende der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre kam es an fast allen Schweizer Universitäten zu Protesten. Dabei gab es teilweise auch Besetzungen von Uni-Räumlichkeiten. Inhaltlich waren diese sehr heterogen. Da ging es einerseits um die grossen Themen der Zeit wie den Vietnamkrieg. Andererseits wurden aber auch sehr konkrete Sachen angesprochen, wie der Ausbau der studentischen Mitbestimmung an der Universität, oder es wurden bessere Hörsäle gefordert.
In den 1980er-Jahren gab es in Zürich erneut Unruhen – das war aber eher weniger die studentische Jugend. In den Jahren danach wurde es jeweils unruhig, wenn die Studentenschaft ihr Veto gegen eine Berufung einer Professorin oder eines Professors einlegte, Sparpläne publik wurden oder die Studiengebühren erhöht werden sollten. 2003 gingen schweizweit Studentinnen und Studenten gegen den Irakkrieg auf die Strasse – zusammen mit vielen anderen Menschen.
Welche Form nahm der studentische Protest an den Unis an?
Schon 1968 wurde in den studentischen Gremien, den Studierendenräten etc. leidenschaftlich debattiert, ob die Gremien ein allgemeines politisches Mandat haben oder nicht. Also: ob sich ein Studentenrat nur zum Thema Studiengebühren äussern soll oder auch zum Thema Vietnamkrieg. Das war immer höchst umstritten.
Der harte Kern von studentischen Protesten ist oft auch an allgemeinen Demonstrationen ausserhalb der Uni dabei. Von da her ist es schon ein Stück weit ein integraler Bestandteil der allgemeinen Protestkultur.
Immer wieder hat es auch Proteste gegen Referenten gegeben. Ich kann mich beispielsweise erinnern, dass es um das Jahr 2000 an der Universität Zürich zu Protesten kam, als ein ehemaliges Regierungsmitglied der Pinochet-Diktatur für ein Referat an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät eingeladen wurde.
Die Uni als Keimzelle der Protestkultur – kann man das sagen?
Dass auf dem Campus nicht politisiert werden soll, ist in der Schweiz in den Statuten der Hochschulen nicht so explizit festgelegt wie teilweise in anderen Ländern. Es herrscht aber die Vorstellung, dass eine staatliche Universität politisch neutral sein soll und dies auch für das Verhalten von Studierenden auf dem Campus gelte. Nun ist der Campus aber der Ort, an dem sich Studierende artikulieren wollen und wo Protest stattfinden kann.
Die Protestkultur existiert ja auch nicht isoliert nur an den Unis, sondern hängt zusammen mit anderen Protestaktionen, die stattfinden. Da gibt es auch personelle Überlappungen: Der harte Kern von studentischen Protesten ist oft auch an allgemeinen Demonstrationen ausserhalb der Uni dabei. Von da her ist es ein Stück weit ein integraler Bestandteil der allgemeinen Protestkultur.
Das Gespräch führten Selma Knecht und Patrick McEvily.