Die Pannen beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) häufen sich. Jüngstes Beispiel: Die Falschmeldung über ein junges Corona-Todesopfer. Davor publizierte das BAG fehlerhafte Zahlen über die häufigsten Ansteckungsorte; zudem wurde kritisiert, dass der Bund den Kantonen nicht genug Daten liefere, damit diese die Quarantänepflicht von Auslandrückkehrern kontrollieren könne. Digitalrechtsexperte Martin Steiger fordert das BAG auf, Hilfe von aussen anzunehmen, um die Missstände zu beheben.
SRF News: Welche Missstände orten Sie beim BAG im Umgang mit Daten?
Martin Steiger: Das grosse Problem ist, dass fast keine Daten vorhanden sind. Und die Daten, die es gibt, sind häufig mangel- und lückenhaft. Man weiss gar nicht, ob man diesen überhaupt vertrauen kann.
Bei dem fälschlicherweise als tot gemeldeten jungen Mann hat offenbar ein Arzt ein Formular falsch ausgefüllt. Da kann man die Schuld doch nicht dem BAG geben?
Es passieren Fehler auf allen Ebenen. Das BAG ist das zuständige Bundesamt. Es steht im Zentrum und arbeitet mit Ärzten und Kantonen zusammen. Damit steht es in der Hauptverantwortung.
Bisweilen beruft sich das BAG auf Datenschutz, wenn es kritisiert wird. Leuchtet diese Argumentation nicht ein, etwa wenn es um Passagierlisten von Flügen geht?
Der Datenschutz ist heikel. Das BAG hätte aber ganz viele Möglichkeiten. Diese finden sich im Epidemiengesetz. Dort hat man – durchaus in weiser Voraussicht – vorhergesehen, dass das BAG und auch die Kantone viel Spielraum bei den Daten haben. Man muss auch bedenken, dass der Datenschutz den Zweck hat, uns vor dem Missbrauch unserer Daten zu schützen. Er soll aber keine Ausrede für Behörden sein, die den Umgang mit Daten nicht im Griff haben.
Ich weiss, dass dem BAG sehr viel Hilfe angeboten wird – aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, von Unternehmen.
Die Weitergabe von Daten an die Kantone ist aus Ihrer Sicht also völlig in Ordnung?
Das ist im Epidemiengesetz ausdrücklich vorgesehen. Insofern ist das in Ordnung. Natürlich muss der Datenschutz eingehalten werden. Das sollte durchaus möglich sein – dazu gehört zum Beispiel die Datensicherheit. Zudem müssen Daten, die veröffentlicht werden, genügend anonymisiert sein.
Neben den Kantonen wünschen sich auch Wissenschaftler wie Epidemiologen Einsicht in die Daten und mehr Transparenz. Wo liegt hier die Grenze in Sachen Datenschutz?
Es ist sehr wichtig, dass diese Daten der Wissenschaft und weiteren interessierten Stellen zur Verfügung stehen, damit wir mehr über die Pandemie lernen. Ein Beispiel: Das BAG veröffentlicht täglich auf Twitter die aktuellen Fallzahlen.
Dann passiert etwas Wunderbares: Viele Private visualisieren diese Daten und werten sie aus. Das Gleiche gilt auch für die Wissenschaft. Das BAG und die Kantone können das nicht allein. Solange der Missbrauch der Daten ausgeschlossen ist, sollen diese Daten möglichst frei zur Verfügung stehen.
Rechtlich gesehen dürfte das BAG also viel mehr Daten weitergeben. Warum kommt es entsprechenden Wünschen trotzdem nicht nach – kann oder will das BAG nicht?
Die Offenheit der Daten von Bund und Kantonen sind ein langwieriges Thema. Vermutlich «kann» das BAG nicht. Man muss auch sagen, dass es die erste grosse Pandemie ist. Insofern wäre es einerseits wünschenswert, dass das BAG endlich sichtbar dazu lernt. Andererseits soll es Hilfe annehmen. Ich weiss, dass ihm sehr viel Hilfe angeboten wird – aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, von Unternehmen. Ständig höre ich, dass die Leute beim BAG nicht reagieren oder sagen, dass sie es dann früher oder später schon selbst machen würden.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.