Im Tessin sollen Jugendliche mutmassliche pädophile Männer in eine Falle gelockt und zu Selbstjustiz gegriffen haben, weil sie von den Behörden angeblich nicht gehört wurden. Es stellt sich die Frage: Tut die Schweiz nicht genug, um Kinder und Jugendliche vor Pädophilen zu schützen? Antworten auf diese und weitere Fragen hat die Psychologin Fanny de Tribolet.
SRF News: Woher kommt die Neigung zur Pädophilie?
Fanny de Tribolet: Man geht davon aus, dass man nichts dafür kann – man hat also diese Ansprechbarkeit oder nicht. Auch sind die meisten Betroffenen nicht ausschliesslich pädophil veranlagt. Das sind bloss rund sieben Prozent von ihnen.
Meist spricht man von Männern, wenn es um Pädophile geht. Doch: Gibt es auch pädophile Frauen?
Das gibt es auch – auch wenn es weniger Frauen sind als Männer. Wie bei allen sexuellen Andersartigkeiten gibt es einen Gender-Unterschied.
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In Gerichtsurteilen wird in Fällen von Pädophilie oft eine Therapie angeordnet. Ist das in der Schweiz inzwischen Standard?
Mit dem neuen Sexualstrafrecht, das seit Juni gilt, ist das Standard. Es gibt jetzt neue Möglichkeiten, solche Personen zu Lernprogrammen und Therapien zu verpflichten. Damit ist in der Tat eine Lücke geschlossen worden.
Was ist das Ziel einer Therapie? Kann ein Betroffener von der Pädophilie wegkommen?
Zunächst wird abgeklärt, ob die Person tatsächlich pädophil ist. Denn die meisten Berührungsdelikte, die an Kindern begangen werden, werden gar nicht von Pädophilen verübt. Wenn die Person nicht im stationären Bereich gesichert ist, ist das oberste Ziel, eine Verhaltenskontrolle einzubauen.
Menschen, denen es gut geht und die stabile Beziehungen führen, haben ein weniger hohes Risiko, rückfällig zu werden.
Danach geht es darum, im Leben eine Situation zu erreichen, in der es dem oder der Betroffenen gut geht – gemäss dem «Good-Lives-Model» aus der positiven Psychologie. Es geht davon aus, dass Menschen, denen es gut geht und die stabile Beziehungen führen, ein weniger hohes Risiko haben, rückfällig zu werden.
Welche Werkzeuge erhalten die Betroffenen dazu mit auf den Weg?
Das ist unterschiedlich und abhängig vom Fall-Konzept. Oftmals geht es um Emotionskontrolle in schwierigen Lebenssituationen. Was genau die Auslöser sind, versucht man herauszufinden. Ist dies erkannt, wirkt man auf kognitiver Ebene, aber auch ganz pragmatisch und konkret. Etwa, indem man möglichst hohe Barrieren einbaut. So limitiert man beispielsweise den Kontakt zu Kindern oder verändert die Kontakte so, dass der oder die Betroffene nie alleine mit den Kindern ist.
Wie gut funktioniert das?
Je nach Behandlungsprogramm funktioniert das recht gut. Am besten funktionieren Therapien, die am Verhalten orientiert sind. Sehr wichtig im Bereich von sexuellen Missbrauchstaten an Kindern ist die Prävention. Denn die meisten Täter sind einmalige Täter. Entsprechend wichtig ist es, sie früh in Behandlung zu bekommen. Das eröffnet andere Möglichkeiten als der Weg über die Justiz.
Wenn sich Menschen präventiv in Behandlung begeben, kann man unter ärztlicher Schweigepflicht mit ihnen arbeiten.
Denn ein Gericht kann zwar eine Strafe aussprechen und allenfalls eine Behandlungsmassnahme verordnen. Eine solche Behandlung ist aber nicht mehr freiwillig, auch werden die Informationen aus der Behandlung nicht mehr unter Verschluss gehalten. Wenn Menschen sich aber präventiv in Behandlung begeben, etwa, indem sie zu uns kommen, kann man unter ärztlicher Schweigepflicht mit ihnen arbeiten. Sie müssen sich dann auch nicht sorgen, dass die Informationen über sie an ein Gericht weitergegeben werden.
Das Gespräch führte Reena Thelly.