Darum geht es: Seit dem 1. August ist das revidierte DNA-Profil-Gesetz in Kraft. Damit können Strafverfolgungsbehörden nun die DNA-Phänotypisierung nutzen, sofern ein Abgleich der DNA-Spur mit der Datenbank zu keinem Ergebnis führt. Diese steht laut Bundesamt für Polizei (Fedpol) für Ermittlungen schwerer Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung zur Verfügung.
Das bedeutet die Methode für den Alltag: «Diese Gesetzesänderung darf man natürlich nicht als Wundermittel präsentieren», sagt Hanspeter Krüsi, Kommunikationsleiter der Kantonspolizei St. Gallen. Es sei eine weitere Möglichkeit für die Polizei, zusammen mit der Staatsanwaltschaft, die Täterschaft zu ermitteln und letztendlich verurteilen zu können. «Ich vergleiche es mit einer Zeugenaussage, die subjektiv ist. Diese Variante, die wir hier einsetzen könnten, ist wissenschaftlich abgeklärt.»
So viel kostet die Methode: Die Untersuchung sei rund zehnmal teurer als eine herkömmliche DNA-Analyse, erklärt Christian Cossu, forensischer Genetiker am Institut für Rechtsmedizin Kantonsspital St. Gallen. Zudem dauere die Auswertung vier Tage anstatt einen Tag.
Diese Länder kennen die Methode: Die Niederlande haben 2003 als erstes Land der Welt eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die DNA-Phänotypisierung geschaffen. Auslöser für die Einführung der Methode war ein Vergewaltigungsfall einer 16-Jährigen 1999, die danach vom Täter getötet wurde. Der Verdacht fiel zunächst auf Asylbewerber, da sich 800 Meter vom Tatort ein Asylheim befand. Weil die DNA-Datenbank keinen Treffer mit den Spuren des Täters ergab, nutzten die Ermittler erstmals die Phänotypisierung. Dank der Methode konnte 2012 ein Bauer aus der Region verhaftet werden, der die Tat gestand.
Seit 2018 ist in der Slowakei eine Regelung zur Phänotypisierung in Kraft. Auch Deutschland hat die Methode 2019 in die Strafprozessordnung aufgenommen. Ausserdem wird in Frankreich, Grossbritannien und den USA die Phänotypisierung in der Ermittlungspraxis verwendet. Doch in diesen drei Ländern liegen keine ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen vor.
Bei diesen Fällen wird die Methode eingesetzt: Die Methode wird meist bei schweren Gewaltdelikten angewendet, wobei in Deutschland laut dortiger Strafprozessordnung grundsätzlich eine erweiterte DNA-Analyse durchgeführt werden darf, wenn keine Datenbanktreffer vorlägen, erklärt Cornelius Courts. Er ist Professor für forensische Molekulargenetik an der Universität zu Köln.
«Einige unserer letzten Fälle waren relativ ähnlich und betrafen ausgesetzte Säuglinge», beschreibt Courts seine kürzlichen Fälle. Es komme immer wieder vor, dass Mütter Säuglinge aussetzen, die dann am Aussetzungsort versterben oder aber schon tot geboren und ausgesetzt worden seien.
An den Säuglingen oder an Transportbehältnissen seien oft noch Spuren von der DNA der Mutter anhaftend. Doch in der Regel seien solche Mütter eben nicht in den Datenbanken auffindbar. In diesen Fällen konnte dann die Mutter oftmals durch die Phänotypisierung ermittelt werden.
So viele Aufklärungen gibt es: Courts zufolge ist quantitativ schwierig zu erfassen, zu wie viel mehr Aufklärungen die Phänotypisierung führt. «Mit Sicherheit werden aber netto mehr Täter gefasst als vor Einführung der Methode.» Doch: «Niemand kann wegen eines Phänotypisierungsergebnisses verurteilt werden», betont Courts. Dieser Punkt müsse Kritikern immer entgegengehalten werden. Man könne höchstens in das Interesse der Ermittlungshandlungen geraten, in dem man gebeten werde, eine DNA-Probe abzugeben. «Wenn diese DNA-Probe aber nicht zur Probe am Tatort passt, kann die Person sofort aus dem Fokus der Ermittlungen genommen und ihr DNA-Profil vernichtet werden.»