«Enzyklopädie der Cannabiszucht», «Der Schamanengarten» oder «Psychedelische Chemie» – so und ähnlich klingen die Titel der Bücher, die der Nachtschattenverlag herausgibt. Seit 40 Jahren existiert der Solothurner Verlag unter der Leitung von Gründer Roger Liggenstorfer. Jetzt ist er im Pensionsalter und will kürzertreten.
Ich nehme das Wort «Drogen» nicht gerne in den Mund.
Bücher rund um berauschende Substanzen sind aber nicht das einzige Steckenpferd des Solothurners. Liggenstorfer setzt sich seit Jahrzehnten für eine Liberalisierung der Drogenpolitik ein. Das Wort «Drogen» nimmt er jedoch nicht gerne in den Mund: «Ich spreche lieber von psychoaktiven Substanzen. Dazu zählen auch Kaffee oder Tee.» Das Wort «Drogen» habe nach wie vor einen bitteren Beigeschmack – es spalte die Geister.
Vom Bankangestellten zum Aktivisten
Seine Ausbildung machte Liggenstorfer in einer Bank. «Ich wollte aber mehr Freiheiten und mein eigener Chef sein», erzählt der Verleger. Darum wird er anfangs 80er-Jahre Marktfahrer. Schnell finden indische Pfeifen und andere Rauchutensilien oder eben Hanfbücher den Weg in sein Sortiment.
«Den Behörden war ich ein Dorn im Auge», meint Liggenstorfer und lächelt verschmitzt. «Einmal stand ich vor Gericht wegen öffentlicher Aufforderung zum Drogenkonsum.» Das Urteil: drei Wochen Gefängnis bedingt. «Und die beschlagnahmten Bücher hat man verbrannt – wie im Mittelalter.»
Schon in den 80er-Jahren wird Liggenstorfer politisch aktiv. Er sammelt Unterschriften für die Legalisierung gewisser Drogen. Die Beschlagnahmung seiner Bücher führt schliesslich dazu, dass er seinen eigenen Verlag gründet. Den Nachtschattenverlag – den «Verlag für Rauschkultur».
Es war eine Zeit, in der in der Schweiz «das tiefste Mittelalter der Drogenprohibition» herrschte. Liggenstorfer ist überzeugt, dass die Verbote und die fehlende Aufklärung dazu beigetragen haben, dass sich die Szene damals in eine «sehr unschöne» Richtung entwickelt habe. Damit spricht er unter anderem die offenen Drogenszenen an, wie jene in den 90ern beim Zürcher Platzspitz.
«Needle Park» am Zürcher Platzspitz
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Bild 1 von 5. Traurige Zahlen belegen das Elend: Allein 1991 starben in der offenen Drogenszene am Platzspitz 21 Süchtige. 3600 Mal wurden Drogenabhängige vor Ort reanimiert. Weltweit berichteten Medien über die «offene Wunde Zürichs». Bildquelle: KEYSTONE/Str.
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Bild 2 von 5. Zeitweise hielten sich mehrere Tausend Süchtige und Abhängige pro Tag auf dem Platzspitz auf. An Spitzentagen wurden bis zu 15'000 Spritzen verbraucht. Die Situation war so schlimm, dass der Platzspitz unter dem Namen Needle Park international Schlagzeilen machte. Bildquelle: KEYSTONE/Martin Ruetschi.
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Bild 3 von 5. Am 5. Februar 1992 schlossen die Behörden den Platzspitz. Doch die Schliessung löste das Problem nicht, es fand lediglich eine Verlagerung der offenen Drogenszene statt. Bildquelle: KEYSTONE/Walter Bieri.
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Bild 4 von 5. Beim stillgelegten Bahnhof Letten wurden die Zustände noch schlimmer als auf dem Platzspitz. Erst 1995 fand hier eine endgültige Schliessung statt, die Erfolg brachte. Denn die misslungene Platzspitz-Räumung brachte den Durchbruch für eine liberalere Drogenpolitik. Bildquelle: KEYSTONE/Martin Ruetschi.
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Bild 5 von 5. Die kontrollierte Drogenabgabe in Fixerstübli etwa war wichtig, um Betroffene aufzufangen. In der ganzen Schweiz wurden solche Abgabestellen geschaffen. Bildquelle: KEYSTONE/Str.
«Mit den Heroinabgabestellen hat die Schweiz dann aber einen mutigen Schritt gewagt», lobt Roger Liggenstorfer. «Der Kanton Solothurn war Ende der 90er einer der ersten Kantone, der mit einer Standesinitiative die Legalisierung des Drogenkonsums forderte.» Die Initiative fand zwar Gehör im Nationalrat, scheiterte aber im Ständerat.
Bewegung im Umgang mit Cannabis
Seither gab es immer wieder Initiativen, die eine Liberalisierung der Drogenpolitik forderten. Seit 2013 ist es Erwachsenen in der Schweiz beispielsweise erlaubt, bis zu zehn Gramm Cannabis bei sich zu führen. Auch aktuell scheint sich beim Thema Cannabis etwas zu bewegen: In Städten wie Zürich, Bern oder Basel wird der legale Konsum von Cannabis in Pilotversuchen getestet.
Pilotversuche mit Cannabis
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Bild 1 von 6. Bundesrat Alain Berset, Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern, spricht 2019 an einer Medienkonferenz über die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes und die Verordnung über Pilotversuche nach dem Betäubungsmittelgesetz (Pilotversuche mit Cannabis). Bildquelle: KEYSTONE/Anthony Anex.
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Bild 2 von 6. Als erste Stadt präsentiert Basel im August 2022 einen Pilotversuch. Lukas Engelberger, Regierungsrat und Gesundheitsdirektor Basel-Stadt, informiert über den Start zur Umsetzung des Basler Pilotprojekts «Weed Care» zum regulierten Cannabis-Verkauf in Apotheken. Bildquelle: KEYSTONE/Patrick Straub.
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Bild 3 von 6. Für das Projekt darf die Firma Pure Production in der Nordwestschweiz THC-haltige Cannabispflanzen anbauen. Seit Anfang 2020 verfügt die Firma über eine Ausnahmebewilligung des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Bildquelle: KEYSTONE/Christian Beutler.
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Bild 4 von 6. Die 180 Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer können in verschiedenen Apotheken in Basel ihr Cannabis beziehen. Der für die Studie ausgestellte Ausweis berechtigt zum Bezug. Bildquelle: KEYSTONE/Georgios Kefalas.
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Bild 5 von 6. Auch die Stadt Zürich hat seit rund einem Jahr ein Pilotprojekt mit 1200 Teilnehmenden. Zum Start des Projekts «Zueri Can – Cannabis mit Verantwortung» werden Cannabisprodukte in neun Apotheken, sechs sogenannten Social Clubs sowie im städtischen Drogeninformationszentrum (DIZ) abgegeben. Bildquelle: KEYSTONE/Michael Buholzer.
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Bild 6 von 6. Auch in diversen anderen Städten wie Lausanne, Bern oder Luzern sind Pilotversuche am Laufen. In anderen Städten sind sie in Planung. Bildquelle: KEYSTONE/Michael Buholzer.
Aktuell läuft zudem eine Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative. Diese will Anbau und Konsum von Cannabis legalisieren. Und auch auf Bundesebene findet ein Umdenken statt: In einem Bericht hinterfragt der Bundesrat die aktuelle Drogenpolitik und zieht eine Legalisierung von Drogen in Erwägung.
Damit bewegt sich die Schweiz für Roger Liggenstorfer in die richtige Richtung: «Das Wichtigste beim Umgang mit berauschenden Substanzen ist doch die Aufklärung», betont er. «Es kann keine Drogenmündigkeit geben, wenn die Menschen keine Kompetenzen im Umgang mit diesen Substanzen haben.»