Wegen der Coronamassnahmen verschulden sich immer mehr Menschen in der Schweiz. Das bestätigen verschiedene Schuldenberatungsstellen gegenüber Radio SRF. Der Bereichsleiter bei der Sozial- und Schuldenberatung Caritas St. Gallen/Appenzell, Lorenz Bertsch, fordert deshalb: Menschen mit Niedriglöhnen in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit muss der volle Lohn ersetzt werden.
SRF News: Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Monaten verändert?
Lorenz Bertsch: Es zeigt sich jetzt, dass sich viele Menschen seit dem Lockdown bloss noch durchgewürgt haben. Sie sind im Zahlungsrückstand oder haben Ratenzahlungen vereinbart.
Mit dem Shutdown droht das Kartenhaus einzustürzen.
In erster Linie können Krankenkassenprämien, Steuern und Wohnungsmieten nicht mehr bezahlt werden. Mit den neuen Shutdown-Massnahmen droht das Kartenhaus in manchen Fällen jetzt zusammenzubrechen. Das Verrückte dabei ist, dass vielen sogar das Geld für Lebensmittel fehlt.
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Wie werden sich die neuen Massnahmen auswirken?
Die Fälle werden weiter zunehmen. Betroffen sind ja vor allem Menschen, die am Existenzminimum leben und überall im Zahlungsrückstand sind. Ihnen bleibt bloss, sich zu verschulden. So geraten sie in einen Betreibungskreislauf mit Pfändung. Das ist ein massives Problem, denn aus dieser Schuldenspirale kommt man fast nicht mehr heraus.
Hat sich der Kreis der Betroffenen im Vergleich zur Zeit vor der Coronakrise verändert?
Betroffen sind weiterhin vor allem 30- bis 50-Jährige. Tragisch ist aber, dass es derzeit vor allem Familien betrifft – und zwar Schweizer Familien. Es sind meist Menschen, die zu den Working Poor zählen: Sie arbeiten, leben aber am Existenzminimum.
Betroffen sind vor allem Familien. Schweizer Familien.
Betroffen sind vor allem die Branchen Gastronomie, Reinigung und Detailhandel. Weil die Betroffenen in Kurzarbeit oder als Arbeitslose jetzt weniger Lohn erhalten, können sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen.
Was macht es mit Ihnen persönlich, wenn Sie mit ansehen müssen, wie immer mehr Menschen in die Schulden geraten?
Das trifft einen schon. Man sieht die eingeleiteten Massnahmen gegen die Corona-Ausbreitung, es werden Gelder gesprochen – aber diese Menschen am Existenzminimum gehen vergessen. Und es handelt sich dabei nicht um Menschen, die Leasings abgeschlossen haben oder Konsumkredite aufgenommen haben. Die Menschen arbeiten zwar, verdienen aber zu wenig. Sie gehen jetzt unter.
Die Menschen am Existenzminimum werden vergessen. Sie gehen jetzt unter.
Auch befürchte ich, dass es noch massiv schlimmer kommen wird, dass sich immer mehr Menschen werden verschulden müssen. Zwar wird sich die Gesamtsituation dereinst verbessern – doch für diese Menschen wird es extrem schwierig, wieder aus dem Schuldenkreislauf herauszukommen. Es ist eine tragische Geschichte, die viele armutsbetroffene Menschen trifft.
Die Kurzarbeitsgelder müssen für diese Menschen auf 100 Prozent aufgestockt werden!
Was müsste die Politik tun, um diesen Menschen zu helfen?
Es ist sonnenklar: Jene Menschen, die schon vor der Coronakrise am Existenzminimum gelebt haben, gehen jetzt unter. Die Arbeitslosengelder oder die Kurzarbeitsgelder müssen für diese Menschen auf 100 Prozent aufgestockt werden! Ihnen reichen die 80 Prozent ihres früheren, bereits sehr tiefen Lohnes nicht mehr, um schuldenfrei überleben zu können.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.