In Österreich tritt im Februar eine Corona-Impfpflicht in Kraft. Auch in Deutschland werden die Pläne konkreter. Und in der SRF-Sendung «Club» sprach sich diese Woche SP-Politiker Fabian Molina für eine Impfpflicht aus. Er war der erste Schweizer Nationalrat, der diese Forderung aufs Tapet brachte. Der Politologe Michael Hermann erklärt im Interview, warum er sich durchaus vorstellen kann, dass eine Impfpflicht in der Schweiz früher oder später auch eingeführt wird.
SRF News: Ist eine Impfpflicht in der Schweiz denkbar?
Michael Hermann: Wenn Sie mir diese Frage vor ein paar Monaten gestellt hätten, hätte ich gesagt: «Nein, das ist kaum möglich.» Aber es zeigt sich ein sehr dynamisches Stimmungsbild. Wir haben im Sommer einmal die Frage gestellt, ob es eine Impfpflicht fürs Pflegepersonal geben sollte. Das war damals noch nicht mehrheitsfähig. Dann haben wir im Oktober noch mal gefragt. Da waren es 57 Prozent, die gesagt haben, es soll eine Impfpflicht im Pflegebereich geben. Kürzlich hat das Link-Institut eine Umfrage zu einer allgemeinen Impfpflicht gemacht. 53 Prozent haben Ja gesagt. Das zeigt, wie dynamisch sich die Stimmung verändert.
53.1 Prozent der Befragten für Impfpflicht
Vor ein paar Monaten wäre eine allgemeine Impfpflicht also undenkbar gewesen. Warum haben sich die Meinungen geändert?
Das hat viel mit der erwähnten dynamischen Lage zu tun. Lange war die Güterabwägung, dass es ein übermässiger Eingriff in die Freiheit jedes Einzelnen wäre. Nun ist es eher so, dass man denkt, «wenn Eingriffe verschoben werden müssen, dann betrifft das auch die Gesundheit derer, die geimpft sind». Es geht um gravierende Dinge.
Für die Menschen stellt sich die Frage: Was ist das höhere Gut? Die Gesundheit und das Wohl der Gesamtgesellschaft oder die Freiheit des Einzelnen?
Wenn wir wieder wirtschaftliche Einschränkungen haben, dann betrifft es alle. Es stellt sich dann die Frage: Was ist das höhere Gut – die Gesundheit und das Wohl der Gesamtgesellschaft oder die Freiheit des Einzelnen? Immer mehr Leute auch in die Schweiz kommen offenbar zu einer anderen Abwägung.
Wird eine allgemeine Impfpflicht dadurch eine Mehrheit in der Schweiz finden?
Ja, es kann so kommen. Vielleicht wird es nicht die gleiche Impfpflicht wie in Österreich oder in Deutschland. Es könnte eine etwas abgewandelte, indirekte Impfpflicht werden.
Sowohl auf der linken Seite als auch auf der rechten Seite besteht ein Interesse, dass noch mehr geimpft wird.
Die Interessenlagen und die Abwägungen sind zurzeit so: Sowohl auf der linken Seite als auch auf der rechten Seite besteht ein Interesse, dass noch mehr geimpft wird. Auf der linken Seite steht der Gesundheitsschutz im Vordergrund und auf der rechten Seite die Wirtschaft. Da die Impfquote nicht mit konventionellen Massnahmen gesteigert werden kann, kann ich mir vorstellen, dass die Impfpflicht hier irgendwann Realität wird.
Das Gespräch führte Zoé Geissler.