Vor drei Wochen lehnte das Stimmvolk das CO2-Gesetz ab. Was wohl auch mit den darin vorgesehenen höheren Abgaben zusammenhing. Dennoch plant der Bundesrat mit dem sogenannten Mobility Pricing bereits das nächste Projekt, das den Verkehr verteuern möchte.
Wer künftig zu Stosszeiten auf der Strasse oder im öffentlichen Verkehr unterwegs ist, soll mehr bezahlen. Diese Preiserhöhungen sollen die Nachfrage steuern und Verkehrsspitzen brechen.
Problematischer Gesetzesentwurf
In einem ersten Schritt will der Bundesrat interessierten Kantonen, Gemeinden oder Organisationen ermöglichen, das Modell mit Pilotprojekten zu testen. Dabei gibt es aber ein Problem: Der Gesetzesentwurf verstösst gegen die Bundesverfassung.
Zu dieser Einschätzung kommen zwei Staatsrechtler, die SRF konsultiert hat. Alain Griffel, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, ist ein Befürworter von Mobility Pricing. Trotzdem findet er: Wenn man Gesetze mache, dürfe man so nicht vorgehen. Ähnlich sieht das Markus Kern. «Ich bin der Meinung, dass die verfassungsrechtliche Abstützung des Gesetzes in der Tat etwas wackelig ist», so der Assistenzprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Bern.
Die Benutzung öffentlicher Strassen ist gebührenfrei.
Der wunde Punkt ist die Frage, inwiefern Pilotprojekte für Mobility Pricing auf der Strasse mit der Bundesverfassung vereinbar sind. Denn diese hält fest: «Die Benutzung öffentlicher Strassen ist gebührenfrei».
Zwar kann das Parlament Ausnahmen bewilligen. Bis jetzt existiert aber nur eine, die Tunnelgebühr am Grossen Sankt Bernhard. Für die Autobahnvignette oder die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe dagegen musste die Verfassung per Abstimmung angepasst werden.
Bis zu welchem Punkt können Strassengebühren als Ausnahme gelten? Klarer Fall für Kern: Die Erhebung einer Gebühr für bestimmte Verkehrsarten oder auf bestimmten Strassentypen wäre «unzulässig».
Bundesrats-Trick
Dessen ist sich der Bundesrat bewusst. Gebühren in einzelnen Städten könne man nicht mehr als «Ausnahme» bezeichnen, schreibt er. Deshalb greift er zu einem Trick und stützt die Pilotprojekte auf Artikel 173 der Bundesverfassung. Dieser hält fest, ein Gesetz könne «der Bundesversammlung weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen».
Staatsrechtler Griffel glaubt jedoch nicht, dass man diesen Artikel heranziehen kann, um Mobility Pricing verfassungskonform zu machen: «Der Artikel 173 sagt dazu überhaupt nichts Relevantes aus».
Das ist Spiegelfechterei.
Vielmehr gehe es darin um die Frage, wer innerhalb des Bundesstaats für eine gewisse Aufgabe zuständig sei. Es gehe nie darum, den Bund zu legitimieren, eine Aufgabe wahrzunehmen, die er gemäss Verfassung gerade nicht wahrnehmen dürfte. «Das ist wirklich Spiegelfechterei», so Griffel.
Verfassungsänderung nötig
Griffel ist überzeugt, dass es für Mobility Pricing-Versuche auf jeden Fall eine Verfassungsänderung bräuchte. Dies, obschon das Strassengebührenverbot seiner Meinung nach ein alter Zopf sei, den man abschneiden müsse.
Kern findet, wenn man noch im Rahmen der Bundesverfassung bleiben wolle, müsse man die Anzahl Projekte streng begrenzen. «Wenn man unbeschränkt Projekte zulassen möchte, wäre die Verfassung anzupassen.»
Astra lehnt Kritik ab
Mit der Kritik konfrontiert, erklärt das zuständige Bundesamt für Strassen Astra, es würde «keinen Sinn ergeben, die Verfassung zu ändern, bevor man überhaupt weiss, ob Mobility-Pricing-Abgaben erhoben werden sollen». Zudem seien die Pilotprojekte nur «in einem klaren zeitlichen Rahmen und auf einem lokal begrenzten Perimeter zulässig».
Wie es mit der Vorlage weitergeht, dürfte sich in der zweiten Jahreshälfte zeigen. Dann will sie der Bundesrat dem Parlament unterbreiten.