Die Resistenzen gegen Antibiotika nehmen zu – auch in der Schweiz. Das zeigt der neuste Bericht über Antibiotikarestistenzen. Über die Gründe und notwendige Vorkehrungen weiss Anne Lévy mehr. Sie ist Chefin des Bundesamts für Gesundheit BAG.
SRF News: Der Antibiotikagebrauch in der Schweiz ist seit dem letzten Bericht 2022 gestiegen. Warum?
Anne Lévy: Weil sich die Leute während der Coronapandemie weniger trafen, gab es weniger bakterielle Infektionen, gegen die Antibiotika eingesetzt werden mussten. Jetzt stehen wir beim Verbrauch wieder dort, wo wir vor der Pandemie waren. Immerhin: Es werden im Vergleich zu früher weniger der kritischen Antibiotika verschrieben, also jener Medikamente, die Resistenzen begünstigen.
Man soll nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich Antibiotika einnehmen. Warum?
Wenn Antibiotika falsch eingesetzt werden, begünstigt das Resistenzen bei den Bakterien. Darum dürfen die Medikamente auch nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden. Dabei ist wichtig, die von der Ärztin verordnete Dosierung genau einzuhalten. Also nicht zu früh mit der Einnahme aufhören, aber das Medikament auch nicht zu lange einzunehmen. Und: übriggebliebene Dosen für eine fachgerechte Entsorgung zurückbringen.
Vor allem die neueren sogenannten kritischen Antibiotika sollten so selten wie möglich eingesetzt werden.
Die Schweiz gehört zu jenen Ländern mit dem geringsten Antibiotikaverbrauch. Warum also braucht es noch weitere Anstrengungen, diesen noch mehr zu senken?
Ziel muss sein, dass ausschliesslich die richtigen Antibiotika eingesetzt werden und nur in jenen Fällen, in denen es absolut nötig ist. Vor allem die neueren sogenannten kritischen Antibiotika sollten so selten wie möglich eingesetzt werden. Denn sie sind es, die derzeit noch gegen multiresistente Keime wirken. Sie dürfen ihre Wirksamkeit nicht verlieren. Das betrifft sowohl die Human- wie die Tiermedizin.
Was würde es bedeuten, wenn dies trotzdem geschieht?
Die Resistenzen gegen die vorhandenen Antibiotika gehören zu den grössten Bedrohungen für die Gesundheit von Mensch und Tier. Wenn die multiresistenten Keime nicht mehr mit Antibiotika bekämpft werden können, stehen wir am selben Ort, wie vor 100 Jahren – als es noch keine Antibiotika gab. Darum ist es wichtig, dass die Forschung für neue Antibiotika weitergeht und gleichzeitig so wenig wie möglich Antibiotika eingesetzt werden.
Es braucht neue Modelle, damit weiterhin an neuen Antibiotika geforscht wird.
Wie wollen Sie das erreichen?
Die Ärzte werden weiterhin entsprechend ausgebildet und sensibilisiert. Zudem soll mit einer Gesetzesrevision der Anreiz zur Entwicklung neuer Antibiotika erhöht werden. Weil so wenig wie möglich von diesen neuen Antibiotika verschrieben werden sollen, ist es für eine Pharmafirma nicht attraktiv, Millionensummen in die Entwicklung von etwas zu stecken, das dann womöglich während Jahren kaum verkauft wird. Deshalb braucht es neue Modelle, wie man die Unternehmen trotzdem dazu bringen kann.
Die Welt ist vernetzt – wie gross ist die Gefahr, dass sich resistente Keime aus dem Ausland auch in der Schweiz einnisten?
Der internationale Austausch ist zentral – es bringt wenig, wenn nur wir in der Schweiz möglichst wenige der kritischen Antibiotika brauchen, während sie in den Nachbarländern massiv verschrieben werden. Man sollte also ähnliche Massnahmen ergreifen – dazu gibt es unter anderem eine UNO-Resolution, zudem sind wir mit unseren Nachbarländern im Gespräch. Auch muss die Entwicklung neuer Antibiotika international organisiert werden. Denn dies ist sehr teuer und übersteigt die Möglichkeiten der Schweiz.
Das Gespräch führte David Karasek.