Mit Alt Bundesrat Alain Berset wird erstmals ein Schweizer Generalsekretär des Europarats. Die Organisation steht vor grossen Herausforderungen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind zunehmend bedroht – auch in europäischen Ländern. Berset ist sich dessen bewusst – und er ist überzeugt, dass er etwas bewegen kann.
SRF News: Viele, die Ihnen ihre Stimme gegeben haben, möchten einen sichtbareren Europarat. Wie wollen sie diesen Ansprüchen genügen?
Alain Berset: Ich glaube, die Rolle der Schweiz und das Netzwerk, das sie und ich persönlich haben, können helfen, dass der Europarat rasch mehr Sichtbarkeit und politisches Gewicht erhalten kann.
Was bedeutet es für Ihre Arbeit, dass die zentralen Prinzipien des Europarats – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte – unter starkem Druck stehen?
Wir müssen ein scharfes Auge auf diese nicht gerade positive Entwicklung haben, die seit Jahren im Gange ist. Und da wird es nicht dem Europarat allein möglich sein, eine Bewegung in eine bessere Richtung anzustossen.
Wir müssen zusammenarbeiten, um etwas zu tun gegen den Druck auf die zentralen Prinzipien des Europarats.
Es braucht ein grosses Engagement sämtlicher Institutionen, von allen Staaten und sämtlichen politischen Exponenten. Zunächst müssen sie alle erkennen, dass wir ein Problem haben. Und dann müssen wir zusammenarbeiten, um etwas dagegen zu tun.
Etliche Mitgliedsländer stehen dem Europarat kritisch gegenüber, andere hadern mit Urteilen des Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR – wie kann man diesen zentrifugalen Tendenzen entgegenwirken?
Tatsächlich: Seit etwa 15 Jahren sind divergierende Kräfte am Werk – weil es lebt, weil es sich entwickelt. Und genau hier können wir etwas tun: Wir müssen in konkreten Fällen dies mit den obersten Stellen thematisieren und im Dialog zusammen Lösungen zu suchen.
Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union?
Eine gute und starke Zusammenarbeit ist essenziell. Dazu müssen beide Institutionen über eine starke Identität verfügen. Diese muss beim Europarat noch stärker werden – dann ist eine enge Kooperation möglich. Auch hier müssen alle Institutionen am selben Strick ziehen.
Es gibt viel Raum für enge Kooperationen mit der EU.
Dabei bietet der Europarat immer wieder die Möglichkeit, eine Brücke zwischen der EU und Ländern zu bilden, die nicht der EU angehören, aber Teil der europäischen Familie sind. Im Gegensatz zum sehr stark politischen Projekt der EU ist der Europarat ein stark wertorientiertes Projekt. Und da gibt es viel Raum für enge Kooperationen.
Die Schweiz wird zuweilen kritisiert, sie tue zu wenig für die Ukraine. Nun haben Sie erklärt, die Ukraine sei für Sie in Ihrem neuen Amt prioritär...
Die Ukraine ist auch für die Schweiz seit langem prioritär. Die Schweiz hat in den vergangenen zwei Jahren sehr viel für die Ukraine getan, sie hat das Gipfeltreffen auf dem Bürgenstock organisiert – dieses Engagement ist sehr positiv beachtet worden. Man muss aber auch die unterschiedlichen Rollen der verschiedenen Organisationen sehen – Nato, OSZE oder Europart – hinzukommen die unterschiedlichen Rollen der verschiedenen Staaten.
Die Schweiz ist dort stark, wo es erwartet wird. Das ist auch beim Europarat so.
Wichtig ist, dass sich alle dort einsetzen, wo sie am stärksten sind. Die Rolle der Schweiz ist es, überall zu helfen, wo es möglich ist, um voranzukommen. Als ich letztes Jahr Bundespräsident wurde, war eines der ersten Dokumente, die ich erhalten habe, der Friedensplan von Präsident Wolodimir Selenski. Ein Jahr später kam es dann zur Bürgenstock-Konferenz. Das zeigt: Wir sind dort stark, wo es erwartet wird. Das ist auch beim Europarat so.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.