Stefan Felder, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Basel, zieht eine vernichtende Bilanz: «Er ist jetzt zwölf Jahre im Amt und im Unterschied zu seinem Vorgänger hat er eigentlich wenig erreicht. Eigentlich ist fast nichts durchgekommen, was er angestossen hat.»
Gesundheitsexperte Felix Schneuwly vom Vergleichsdienst Comparis hingegen sieht auch Positives: «Am Anfang des Krankenversicherungsgesetzes in den 90er-Jahren hatten wir Kostensteigerungen von 4.5 Prozent pro Jahr, in den Jahren unter Berset – ausgenommen die letzten beiden – lag die Kostensteigerung im Schnitt bei 2.5 Prozent. Das ist eine positive Entwicklung.»
Der Hauptverdienst: Preise gesenkt
Berset sei es gelungen, Preise zu senken, sagt Schneuwly. «Er hat punktuell beim Ärztetarif Tarmed eingegriffen. Das hat zu Kosteneinsparungen geführt. Auch die regelmässigen Medikamentenpreissenkungen haben gewirkt. Und er hat die Labortarife gesenkt. Das hat sofort zu Kosteneinsparungen geführt.»
Bei den Ärztetarifen sei Berset jedoch nicht entschieden genug vorgegangen, kritisiert der Professor für Gesundheitsökonomie, Stefan Felder: «Den Ärztetarif Tarmed, der jetzt noch gilt, hat man im Jahr 2004 eingeführt. Inzwischen hat man beispielsweise starke Fortschritte bei den bildgebenden Verfahren gemacht – und das ist nicht angepasst worden. Die Radiologen verdienen deshalb viel zu viel.»
Bei den Ärztetarifen einzugreifen, sei überfällig. «Bundesrat Berset hat zusammen mit seinen Kollegen die Kompetenz dazu – und er hat sie nicht wahrgenommen», so Stefan Felder. In der Tat: Der neue Ärztetarif «Tardoc» wartet seit Jahren auf eine Umsetzung. Experten gehen von einem Sparpotential von 600 Millionen Franken jährlich aus.
Damit hat er den gleichen Fehler gemacht wie seine Vorgänger.
Ein weiterer Kritikpunkt beider Experten: Der Reserve-Abbau bei den Krankenversicherungen. «Damit hat er den gleichen Fehler gemacht wie seine Vorgänger», sagt Felix Schneuwly. «Er hat die Krankenversicherer gezwungen, ihre Reserven abzubauen. Und bisher ist es immer so gewesen – bei Ruth Dreifuss, bei Pascal Couchepin und eben auch bei Alain Berset – dass es nach jeder erzwungenen Reserve-Senkung einen Prämien-Schock gegeben hat.»
Hauptvorwurf: «Leistungskatalog weiter gewachsen»
Mit einem Reserveabbau schöne man die Zahlen, sagt Stefan Felder. Der Hauptvorwurf des Gesundheitsökonomen betrifft allerdings den Leistungskatalog der Grundversicherung. Was dort drauf ist, muss von der Grundversicherung bezahlt werden.
Um den Leistungsabbau hat sich noch niemand bisher gekümmert.
«Dieser Leistungskatalog ist über Bersets zwölfjährige Amtszeit weiter gewachsen.» Das bedeutet: Man kann heute viel mehr behandeln als noch vor zwölf Jahren. Die Frage sei halt, ob das alles über die Grundversicherung abgedeckt werden müsse, so Felder. «Das ist wirklich eine Aufgabe, die liegengeblieben ist. Wir haben die obligatorische Krankenpflegeversicherung vor bald 30 Jahren eingeführt – aber um den Leistungsabbau hat sich noch niemand bisher gekümmert.»
Verdoppelung der Ausgaben in 20 Jahren
Ohne einen Leistungsabbau und ohne Kürzungen von Vergütungen würden die Krankenkassenprämien weiter steigen, sagt Felder. «Das ist so sicher wie Amen in der Kirche. Ein Kostenanstieg von 3 bis 4 Prozent pro Jahr – das bedeutet halt in 20 Jahren eine Verdoppelung der Ausgaben. Das gibt es sonst nirgendwo. Es zeichnet wirklich den Gesundheitsbereich aus, dass die Kosten sehr stark ansteigen. Da kann man wirklich nur mit radikalen Massnahmen dahinter, wenn man da etwas verändern will.»
Comparis-Gesundheitsexperte Felix Schneuwly wünscht sich, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Alain Berset mutig Reformen anpackt. Denn: «Wenn man natürlich immer wartet, bis der Hinterste und Letzte einverstanden ist, dann kann man keine Reformen umsetzen.»