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Gipfel auf dem Bürgenstock Das Seilziehen im Hintergrund der Ukraine-Konferenz

Moskau hatte schon früh seine Nicht-Teilnahme klargemacht. Das passte Kiew ins Konzept. Mittendrin: die Schweiz.

Die Schweiz habe hinter den Kulissen mit befreundeten Staaten intensiv um die Frage gerungen, ob sie Russland zur Ukraine-Konferenz einladen solle oder nicht. «Es hat uns wochenlang bewegt – bis wir einen Entscheid getroffen haben», sagte Aussenminister Ignazio Cassis heute vor den Medien.

Schlussendlich habe man Moskau nicht eingeladen – auch, weil die Ukraine sich dagegen gewehrt habe. «Die Nicht-Einladung Russlands ist eine Kombination zweier Elemente», betonte Cassis: Einerseits habe Moskau schon sehr früh klargemacht, dass man nicht teilnehmen werde. Und andererseits sagte Kiew deutlich, man sei nicht bereit, für diese Auftakt-Konferenz Moskau mit an Bord zu haben.

Ein Dilemma für die Schweiz

Jetzt wird also klar, dass die Schweiz riskiert hätte, dass die Ukraine abspringt und die Konferenz scheitert, wenn die Schweiz – als Zeichen ihrer Neutralität – auch Russland eingeladen hätte. «Aus diesem Dilemma kamen wir nicht heraus», so Cassis.

Luftaufnahme von Gebäuden am Seeufer mit grüner Landschaft und bewaldeten Hügeln.
Legende: Am 15. und 16. Juni nehmen die Vertreter von 90 Staaten und Organisationen an der Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock teil. Darunter sind laut Angaben von Viola Amherd gut 40 Staats- oder Regierungschefs. Imago/Köbi Schenkel

Und so treffen sich die 90 Staaten und Organisationen am Wochenende ohne Russland auf dem Bürgenstock. Fehlen wird voraussichtlich das Schlüsselland China. Und das wichtige Indien dürfte eine niederrangige Delegation entsenden – ebenso wie Brasilien, falls dieses überhaupt teilnimmt.

AKW-Sicherheit, Schwarzes Meer, Humanitäres

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Auf dem Bürgenstock stehen inhaltliche Themen im Vordergrund, die die ganze Welt betreffen : Die Sicherheit des russischen besetzten AKW in Saporischja zum Beispiel, humanitäre Fragen oder der freie Schiffsverkehr zwischen der Kornkammer Ukraine und dem Rest der Welt. Der Bürgenstock solle aber auch Startpunkt sein für einen Prozess, der zum Frieden in der Ukraine führe, sagte Bundespräsidentin Viola Amherd.

Bundespräsidentin Viola Amherd ihrerseits liess durchblicken, dass hinter den Kulissen schon seit Wochen um eine Schlusserklärung des Gipfels gerungen werde. Das ist im Übrigen ein normales Vorgehen bei solch hochkarätig dotierten Gipfeltreffen.

Auftakt für weitere Konferenzen

Ziel sei ein gemeinsamer Fahrplan, wie die Ukraine und Russland in einen künftigen Friedensprozess eingebunden werden könnten sowie ein Folge-Gipfel mit Russland in einem Land ausserhalb von Europa.

Die Desinformationskampagne ist derart extrem, dass man sieht, dass nur wenig davon der Realität entspricht.
Autor: Viola Amherd Bundespräsdientin

Der Bundesrat betont also die Vision eines Friedensprozesses mit Russland an Bord – und gerät durch seine Rolle selbst ins Visier. So habe die Zahl der Cyber- und Fakenews-Angriffe gegen die Schweiz stark zugenommen. «Es hat eine Intensivierung gegeben», so Amherd.

Extreme Fakenews-Kampagne

Offen feindselig äussern sich seit Tagen russische Staatsmedien. So nannte das Staatsfernsehen die Konferenz vor wenigen Tagen ein Satanisten-Treffen und diffamierte Viola Amherd unter anderem als geldgierig und luxusversessen.

Dazu sagt Amherd: «Die Desinformationskampagne ist derart extrem, dass man sieht, dass nur wenig davon der Realität entspricht.» Deshalb habe man auch darauf verzichtet, den russischen Botschafter ins Aussendepartement zu zitieren.

Es gäbe bloss die Alternative, nichts zu tun und zurückzulehnen – und das wollen wir nicht.
Autor: Ignazio Cassis Bundesrat, Aussenminister der Schweiz

Eine Konferenz ohne Teilnahme des Aggressors, Absagen aus Schlüsselstaaten: Ist die Konferenz vielleicht doch eine Schuhnummer zu gross für die Schweiz? «Nein, ich glaube nicht», sagte Cassis auf eine entsprechende Frage.

Die Schweiz müsse Mut haben. Denn: «Es gäbe bloss die Alternative, nichts zu tun und zurückzulehnen – und das wollten wir nicht.»

Rendez-vous, 10.6.2024, 12:30 Uhr

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