Nach einigem Zögern hat sich der Bundesrat den westlichen Sanktionen gegen die russische Führung angeschlossen. Warum das zögerliche Agieren? War der Bundesrat tatsächlich nicht vorbereitet? Wirtschaftsminister Guy Parmelin nimmt Stellung und warnt vor globalen Folgen bei Sanktionen im Rohstoffhandel.
SRF News: Seit zwei Wochen herrscht Krieg in Europa. Ist das für Sie immer noch unfassbar?
Guy Parmelin: Das war ein Schock für mich. Ich hätte nie gedacht, dass es in Europa im 21. Jahrhundert zu so einem Konflikt kommt. Das ist eine Katastrophe für die Ukraine und die ganze Welt. Wir werden die Effekte des Kriegs noch sehr lange spüren.
Die EU und die USA verhängten sofort nach Kriegsbeginn Sanktionen gegen Russland. Der Bundesrat hat erst am Tag 5 reagiert. Im Bundeshaus kritisieren viele, dass man nicht vorbereitet gewesen sei.
Das ist falsch. Am 25. Februar konnte der Bundesrat noch nicht definitive Entscheidungen treffen. Er musste die Situation sorgfältig analysieren. Das Embargo-Gesetz ist eine Obligation für uns, die UNO-Sanktionen automatisch zu übernehmen. Ansonsten kann die Schweiz die Sanktionen unserer wichtigsten Partner übernehmen. Im vorliegenden Fall lagen Hunderte Seiten in verschiedenen Dossiers vor. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat rasch gearbeitet.
Ich bin dagegen, dass wir Massnahmen ergreifen, die die globale Krise weiter verschärfen.
Sie haben am Tag 2 noch die Haltung vertreten, die Schweiz werde die Sanktionen wegen der Neutralität nicht übernehmen. Haben Sie nicht realisiert, dass diese Grundhaltung nicht durchkommt?
Wir haben das sorgfältig geprüft und bemerkt, dass die Situation nicht dieselbe ist wie 2013/14 mit der Annexion der Krim. Zunächst hat es nach einem regionalen Konflikt in der Ostukraine ausgesehen. Doch es gab eine starke Völkerrechtsverletzung, worauf die Schweiz reagieren musste. Da sind wir auf die Übernahme der EU-Sanktionen umgeschwenkt.
Welche wirtschaftlichen Auswirkungen befürchten Sie für die Schweiz?
Wir sehen in der Inflation die ersten Effekte, weil die Energiepreise gestiegen sind. Das hat für Unternehmen und Privatpersonen Konsequenzen. In der Landwirtschaft steigen die Kosten, was sich in den Preisen auf die Konsumentinnen und Konsumenten auswirken kann. Auf der anderen Seite könnten sich Investitionen verzögern und das Wirtschaftswachstum sinken. In der kommenden Woche wird das Seco seine Konjunkturprognose überarbeiten.
In anderen Ländern laufen Diskussionen, ob man den Import von russischem Öl und Gas verbieten soll. Was ist die Position des Bundes?
Die USA haben diesen Importstopp verhängt, in Europa laufen Diskussionen. Sanktionen haben immer Auswirkungen auf andere Länder. Nehmen wir das Beispiel des weltweiten Rohstoffhandels: Nahostländer wie Ägypten, Tunesien oder die Türkei sind zu 50 bis 90 Prozent abhängig vom Getreide aus der Ukraine. Wenn sie kein Weizen mehr bekommen, steigt die Armut. Das kann problematisch für die Stabilität des Kontinents oder der ganzen Welt sein.
Die Schweiz ist ein wichtiger Handelsplatz für russische Rohstoffe. Hier wären ebenfalls Sanktionen denkbar.
Die Schweiz ist nicht nur für Russland ein wichtiger Rohstoff-Handelspartner. Wenn wir Verhandlungen mit Russland stoppen, hat das riesige Konsequenzen für andere Länder. Ich bin dagegen, dass wir Massnahmen ergreifen, die andernorts zu neuen Problemen führen und die globale Krise weiter verschärfen.
Das Gespräch führte Oliver Washington.