Der Krieg in der Ukraine ist omnipräsent – auch in der Schweiz. Die Stimmen und Bilder brennen sich ein. Menschen, die in den betroffenen Regionen Wurzeln haben, geht die Situation besonders nahe. Betroffen sind auch die rund 16'500 Russinnen und Russen, die in der Schweiz leben.
Einer von ihnen ist Aleksei, ein junger Informatiker. Er lebt seit sechs Jahren in der Schweiz. Seit einer Woche denke er an nichts anderes mehr als an diesen Krieg. «Als Russe fühle ich mich mitverantwortlich für die Taten meiner Regierung. Ich schäme mich.»
Da ist Anna Sandermoen, russische Autorin und Mutter. Sie lebt seit sieben Jahren hierzulande. Und ist wütend – auf Putin, auf diesen Krieg. «Ich bin extrem wütend. Wie sonst soll man darauf reagieren? Natürlich bin ich wütend.»
Und da ist Elena. «Wut? Nein, ganz ehrlich, ich bin etwas verunsichert. Ich muss meine Gefühle erst ordnen. Ich muss mir das überlegen.» Elena ist nicht ihr richtiger Name, sie will anonym bleiben. Sie ist angehende Pflegefachfrau und seit vier Jahren in der Schweiz.
Die Bilder würden sie traurig machen. «Mütter mit Kindern, die Not leiden, die ausreisen müssen. Das ist traurig.» Sie sei gegen das Leid, gegen die Gewalt. Und doch könne sie sich nicht klar auf eine Seite stellen.
Wir bekommen Informationen von Medien und können aus verschiedenen Puzzleteilchen ein Bild kreieren.
«Ich kann mir kein klares Bild davon machen, was genau passiert. Wir bekommen Informationen von Medien und können aus verschiedenen Puzzleteilchen ein Bild kreieren.» Putin alleine die Schuld zu geben, fände sie falsch.
Auf wessen Seite?
Für oder gegen Putin? Bei dieser Frage spaltet sich die russische Gemeinschaft in der Schweiz. In den Kreisen, in denen Aleksei verkehrt, gebe es keine Putin-Freunde, sagt er. «In den Telegramkanälen, wo ich mich unterhalte, gibt es kaum Äusserungen für Putin. Sie sind alle, glaube ich, bereit, die richtigen Schritte zu unternehmen und der Ukraine zu helfen.»
Anna macht andere Erfahrungen. In ihrem Freundeskreis gebe es «böse Überraschungen». «Gute Freunde von mir sind für Putin und loben den Krieg. Das schockiert mich. Ich fürchte mich derzeit, mit russischen Freunden in der Schweiz Kontakt aufzunehmen.»
Weshalb hört man diese Putin-nahen Stimmen hier bei uns nicht mehr? «Sie haben Angst. Jetzt verstehen sie, dass es gefährlich ist», sagt Anna. Angst, auch vor möglichen Sanktionen. Deshalb seien sie still.
Anna fürchtet sich auch vor Diskriminierung. Sie sorgt sich um ihre Tochter. Deshalb sei es wichtig, dass russische Eltern ihre Kinder aufklären. Sie persönlich habe ihre Tochter erklärt, dass sie sich selbst schützen und dazu stehen müsse, dass sie gegen Putin und den Krieg sei.
Die Sanktionen gegen Russland treffen auch die hier lebenden Russinnen und Russen. So können einige ihre Familie nicht mehr besuchen, weil der Flugverkehr nach Moskau gekappt ist. So ergeht es Elena: «Meine Mutter lebt in Russland. Sie ist eine alleinstehende, alte Dame um die 70 Jahre. Das macht mir Sorgen. Wann werden wir uns wieder treffen?»
Meine Mutter lebt in Russland. Sie ist eine alleinstehende, alte Dame. Wann werden wir uns wieder treffen?
Und auch emotional belasten die Sanktionen. Denn die Liebsten in Russland leiden unter den Folgen der Sanktionen. Aleksei hat seine Familie, die Freundin und Freunde in Russland. «Wenn ich für die Sanktionen gegen Russland demonstriere, habe ich das Gefühl, dass ich gegen sie demonstriere. Das erweckt eine enorme Dissonanz in mir.»
Und trotz der Zerrissenheit in der eigenen Haltung und in der russischen Gemeinschaft allgemein: Die meisten sind sich in einem Punkt einig. Auch Anna, Aleksei und Elena: «Ich wünsche mir natürlich, dass der Krieg endet. Das ist die Hauptsache.» «Dass der Krieg endet.» «Frieden. Bitte.»