Zürich, irgendwo in einem Wohnquartier: Eine Schlange von rund 30 Personen wartet geduldig vor einem Mehrfamilienhaus aus den 1920er-Jahren. Die Stadt hat zum Besichtigungstermin geladen. Es geht um eine kleine Dreizimmerwohnung im vierten Stock. 1300 Bewerbungen für diese Wohnung sind eingegangen, 50 Personen hat die Stadt zum Besichtigungstermin eingeladen, eine oder vielleicht zwei Personen werden die Wohnung kriegen.
Das ist gegenwärtig die Situation in der grössten Schweizer Stadt. Die Leerwohnungsziffer beträgt derzeit gerade mal 0.07 Prozent, ab unter 1 Prozent spricht man offiziell von Wohnungsnot.
Wir brauchen immer mehr Platz
Es liegt auf der Hand – mehr Einwohner brauchen mehr Wohnraum – und die Bevölkerung in der Schweiz wächst seit Jahren stetig – vor allem wegen der enormen Zuwanderung. Gleichzeitig wird zu wenig gebaut. Der Bund schätzt, dass jährlich 10'000 Wohnungen zu wenig gebaut werden. Kommt hinzu, dass wir alle immer mehr Wohnfläche beanspruchen. Der Wohnflächenkonsum pro Kopf steigt jährlich an, wie Zahlen des Bundesamtes für Statistik BFS zeigen. 2021 wurde der neue Spitzenwert von 46.6 Quadratmetern pro Kopf erreicht. Vor zehn Jahren waren es noch 45. In den 1980er-Jahren wurden gar erst 34 Quadratmeter pro Person bewohnt.
Thomas Kessler war lange Stadtentwickler für Basel, mittlerweile ist er selbständig. Für ihn ist klar, diese Platzansprüche von uns allen würden die Wohnungsknappheit verschärfen. In den Städten sei fast jede zweite Wohnung nur von einer Person bewohnt, viele Paare hätten je eine Wohnung. Dies alles führe zu dieser laufenden Zunahme des Wohnflächenkonsums. Als Hauptproblem sieht Kessler vor allem Seniorinnen und Senioren.
Wir haben einen Wohlstandszuwachs. Wir können uns diesen Luxus leisten.
Man müsse darüber diskutieren, wie man im Alter wohne. Denn die Rentnerinnen und Rentner verfügten über zu viel Wohnraum, den sie gar nicht bräuchten, ist Kessler überzeugt. Und das vielfach unfreiwillig. Denn sobald die Kinder ausgezogen seien, steige der Wohnflächenkonsum dramatisch an.
Kessler plädiert für neue Wohnmodelle im Alter. Alters-WGs beispielsweise seien eine gute Idee. Oder auch andere Projekte, wo Rentnerinnen und Rentner in kleinen Eigentumswohnungen leben würden. Das sorge für mehr Wohnraum für andere und sei gleichzeitig ein Mittel gegen die Vereinsamung im Alter.
Soll der Staat die Wohnungsgrössen vorschreiben?
Auch beim Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverband macht man sich Gedanken über den zunehmenden Wohnflächenkonsum. Die radikale Forderung nach einer gesetzlich vorgeschriebenen Maximalwohnfläche hat der Verband aber wieder fallengelassen. Ursprünglich schwebte dem Mieterverband vor, dass künftig auch auf dem freien Wohnungsmarkt Benutzungsvorschriften eingeführt werden sollten, wie sie viele Genossenschaften oder auch beispielsweise in Zürich die stadteigenen Wohnungen kennen.
Dort gilt: Eine Einzelperson darf höchstens eine Zweizimmerwohnung belegen, zwei Personen höchstens eine Dreizimmerwohnung usw. Diese Idee werde nun aber nicht weiterverfolgt, sagt der Vizepräsident des Mieterinnen- und Mieterverbandes Michael Töngi. Stattdessen setze man auf eine Wohntauschbörse.
Neue Idee: Wohntauschbörse
Die Idee dahinter: Mietverträge tauschen, ohne dass die Mietpreise verändert würden. So könnte beispielsweise eine ältere, alleinstehende Person die grosse Familienwohnung mit einer Familie tauschen, welche in einer kleineren Wohnung lebt, ohne dass die Mietzinsen verändert würden. Ein entsprechender Vorstoss soll noch in dieser Session im Parlament behandelt werden.
Der Bundesrat hält allerdings wenig von diesem Wohnraumtausch. Dieser würde einen erheblichen Eingriff ins Eigentumsrecht darstellen, schreibt der Bundesrat in seiner ablehnenden Antwort auf den Vorstoss. Denn die Vermieterschaft könne so die Mieterinnen und Mieter nicht mehr frei wählen, auch wären Mietanpassungen an den Marktpreis nicht mehr möglich.
Die Politik tut sich also schwer mit Vorgaben, wie man die Platzansprüche der Bevölkerung einschränken könnte. So liegt es an jeder und jedem einzelnen, selbst zu entscheiden, ob und wie viel Wohnfläche er wirklich benötigt, oder ob es auch eine Nummer kleiner gehen würde.