Rose* wurde mit 18 in die Schweiz gelockt und zur Prostitution gezwungen. In der SRF-Sendung «Club» erzählt sie ihre Geschichte über Menschenhandel, Gewalt und den Mut, sich zu wehren.
SRF: Sie sind in Ungarn aufgewachsen, bitterarm, mit Mutter und Bruder. Wie war Ihre Kindheit?
Rose: Als Mädchen wächst man selbstbewusst auf, mit der Liebe des Vaters. Ich hatte das nicht. In der Schule wussten alle, dass ich arm bin. Ich war so unsicher. Ich heulte mich bei meiner Mutter aus: «Mama, ich muss stinkend zur Schule. Kauf mir doch ein Deo.» Sie sagte: «Ich kann nicht.» Ich konnte nicht mal Deo kaufen. Diese Verzweiflung trieb mich an.
Ich war noch ein Kind, es war illegal. Aber ich wusste nicht, dass es Missbrauch war.
Ein Mann aus dem Dorf machte Ihnen das Angebot: Oralsex gegen Geld. Da waren Sie 16 Jahre alt.
Das war in einem harten Winter. Wir hatten weder Heizung noch Brot. Meine Mama schrie, wir hätten nichts zu essen. Was hätte ich tun sollen, als mir jemand Geld für Oralsex anbot? Ich war noch ein Kind, es war illegal. Aber ich wusste nicht, dass es Missbrauch war.
Mit 18 gingen Sie nach Wien in einen Edelclub. Sie waren registriert als Sexarbeitern. Wie hat sich das unterschieden von der Zürcher Langstrasse?
In Wien hatte ich eine Arbeitsbewilligung. Wir wurden respektiert, es gab Regeln, es war sauber. Und ich habe Tausende Euros verdient. Trotzdem war ich unglücklich. Es war nicht das Leben, das ich mir gewünscht hatte. Als Mädchen träumt man nicht davon, Prostituierte zu werden. Man will Astronautin werden. Oder Cinderella.
Zurück in Ungarn trafen Sie einen Jugendfreund, der Ihnen in Zürich einen Job versprach. Er brachte Sie an die Langstrasse. Was passierte dann?
Er drohte, meiner Familie zu erzählen, dass ich eine Prostituierte bin, wenn ich nicht für ihn anschaffe. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich steckte fest.
Wurden Sie von Ihrem Zuhälter weiter bedroht?
Ja, er schlug mich. Eines Nachts drohte er wieder, mich zu schlagen, wenn ich nicht genug Geld mache. Ich nahm zwei eklige Männer mit hoch. Sie vergewaltigten mich. Ich war 18. Einer steckte seinen Schwanz in meinen Mund, der andere in meine Vagina. Viele Prostituierte nutzen eine Strategie, um den Kopf auszuschalten, aber es ging nicht. Ich schrie: «Haut ab! Ich brauche euer Geld nicht!» Mein Zuhälter sagte nur: «Du dumme Schlampe! Was hast du erwartet, wenn du die hochbringst?»
Wir müssen ein Bewusstsein schaffen, dass Menschenhandel nicht nur Kidnapping ist, sondern auch Nötigung und Manipulation.
Ihr Onkel suchte nach Ihnen und fand Sie. Er brachte Sie ins Frauenzentrum FIZ und zur Polizei. Erst haben Sie gezögert, Anzeige zu erstatten.
Ich fürchtete, meinen Zuhälter in Schwierigkeiten zu bringen. Ich war so manipuliert. Mädchen wie ich hören nirgends, dass Frauen aus der Prostitution gerettet werden. Wir hören nur: eklige Nutte.
Ihr Zuhälter wurde zweitinstanzlich verurteilt und für fünf Jahre des Landes verwiesen. Warum erzählen Sie Ihre Geschichte?
Weil wir ein Bewusstsein schaffen müssen, dass Menschenhandel nicht nur Kidnapping ist, sondern auch Nötigung und Manipulation. Uns wird woanders ein besseres Leben versprochen. Dann werden wir in die Prostitution gezwungen. Doch wir hören oft: Du hättest ja gehen können, du wurdest nicht entführt.
Wie stark fühlen Sie das Stigma in der Gesellschaft?
Man sieht uns nur als dreckige Schlampen. Auch wenn ich meine Geschichte erzähle, möchte ich wieder als Mensch gesehen werden, nicht als dreckige Schlampe.
Das Gespräch führte Barbara Lüthi. Recherche: Charlotte Theile und Denise Díaz (Elephant Stories)
* Name der Redaktion bekannt.