Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis hat an der Frühlingstagung des Internationalen Währungsfonds IWF und der Weltbank-Gruppe in Washington teilgenommen und neben anderem ein Meeting zur Ukraine-Hilfe besucht. Mit positiven Reaktionen für die Schweiz, wie er im Interview mit SRF betont.
SRF News: Herr Bundesrat Cassis, wie wird die Rolle der Schweiz im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau in der Ukraine wahrgenommen?
Ignazio Cassis: Die Rolle der Schweiz wurde sehr gewürdigt. Sehr oft wurden die Lugano-Prinzipien erwähnt, die dem riesigen Generationenprojekt als Kompass dienen. Die Weltbank schätzt die Bedürfnisse des Wiederaufbaus jetzt auf mehr als 400 Milliarden Franken nur für die direkten Kosten. Der Verlust von Produktionskapazitäten ist nicht eingerechnet. Insgesamt dürften sich die Gesamtkosten auf bis zu 1.1 Billionen Franken belaufen.
Ich habe bestätigt, dass die Schweiz ihre Rolle als Koordinationsplattform weiterführen werde. Der Bundesrat hat letzte Woche entschieden, in einem ersten Schritt 1.8 Milliarden Franken aus der internationalen Zusammenarbeit in einen separaten Fonds zu geben für die nächsten sechs Jahre. Danach soll ein Prozess entstehen mit einer Gesetzgebung für zusätzliche Gelder. Die Abklärungen laufen zurzeit.
Sind die Befürchtungen berechtigt, dass das Geld in Afrika oder Asien für Projekte fehlen wird?
Nein, diese Befürchtungen sind unbegründet. Wir bleiben beim gleichen Budget auch für die kommenden vier Jahre. Das Wachstum des Budgets von 1.5 Prozent pro Jahr wird einfach reserviert für den Wiederaufbau der Ukraine. Aber die totale Summe bleibt für die Programme der Armutsbekämpfung und der nachhaltigen Entwicklung bestehen.
Der Ukraine-Krieg ging nicht spurlos an der Weltbank vorbei. Dazu kommen Pandemie und Klimawandel. Welche Massnahmen wurden am Ministertreffen getroffen, damit die Weltbank in Zukunft gerüstet ist?
Wir erleben zurzeit grosse Instabilität in der Welt. Das meist verwendete Wort war denn auch «Stabilität», Stabilität als Voraussetzung für Sicherheit. Dazu die Frage, welche Rolle die Weltbank und der Währungsfonds für die Weltstabilität spielen können. Denn die finanzielle Instabilität ist stark verschränkt mit einer gesellschaftlichen und geopolitischen Instabilität beziehungsweise Kriegen. Zurzeit läuft ein Evaluierungsprozess in der Weltbank. Eine erste Diskussion fand am Frühlingstreffen in Washington statt, eine zweite zur Weltbank der Zukunft wird dieses Jahr in Marrakesch stattfinden.
Wie sieht es mit konkreten Massnahmen für eine Weltbank der Zukunft aus, etwa bezüglich einer Kapitalerhöhung?
Es wurde begrüsst, dass die Schweiz noch kurzfristig für das Jahr 2023 etwa 55 Millionen Franken eingespeist hat. Vor allem in den IDA-Fonds für die ärmsten Länder, die am meisten Hilfe benötigen. Gleichzeitig stellt sich die grosse Frage, wie die Weltbank ihre Performance steigern kann, was natürlich von der Weltlage abhängt.
Was ist Ihr persönliches Fazit zum Frühlingstreffen in Washington?
Es ist zum einen das Bewusstsein, dass sich die Weltbank entwickeln muss, um den neuen Bedürfnissen gerecht zu werden. Dazu gehören globale Herausforderungen wie der Klimawandel und Pandemien. Zum anderen, dass es angesichts des Kriegs in der Ukraine jetzt einen besonderen Effort braucht – ähnlich wie damals nach dem Zweiten Weltkrieg, der erst zur Entstehung der Weltbank führte.
Das Gespräch führte Barbara Colpi.