Lange nominierten die Parteien nur einen einzigen Kandidaten für einen frei werdenden Sitz im Bundesrat. Die Parteien entschieden sich aber oft nicht für den offiziellen Kandidaten: Mehr als hundert Jahre lang wurde bei Einerkandidaturen in einem von fünf Fällen ein nicht-offizieller Anwärter in die Regierung gewählt.
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Bild 1 von 3Legende: Turbulenzen bei der SP: 1959 wurde Hans-Peter Tschudi (Foto) aus Basel in den Bundesrat gewählt – und nicht der offizielle Kandidat Walther Bringolf aus Schaffhausen. Keystone/Lukas Lehmann
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Bild 2 von 3Legende: Es folgten die Bundesratswahlen 1973: Der Solothurner Nationalrat Willi Ritschard (Foto) war nicht der offizielle SP-Kandidat. Dennoch wurde er mit 123 Stimmen gewählt; Arthur Schmid aus dem Aargau gelang die Wahl somit nicht. Keystone/Str
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Bild 3 von 3Legende: Bei den Bundesratswahlen 1983 setzte sich ebenfalls ein Solothurner durch: Otto Stich (Foto) gelang die Wahl in den Bundesrat gegen die Zürcher SP-Politikerin Lilian Uchtenhagen. SRF/Andreas Eggenberger
Zwar wurden offizielle Kandidaten oft übergangen. Aber die Freiheit, zu wählen, wen man will, steht sogar in der Verfassung. Politologe Georg Lutz sagt: «Formell sind alle wählbar in der Schweiz, die stimmberechtigt sind – wer über 18 ist und das Schweizer Bürgerrecht hat.»
Die Wahlfreiheit wurde aber im Laufe der Jahre eingeschränkt. Die Einerkandidatur kam unter Druck. 1979 war es die SVP leid, ihren damals einzigen Sitz in der Landesregierung immer den Bernern zu überlassen. Sie stellte zum ersten Mal eine Zweierkandidatur. Die FDP machte es nach: Bei der Wahl von Elisabeth Kopp schlug sie ein Zweierticket vor.
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Bild 1 von 2Legende: 1979 stellte die SVP zum ersten Mal eine Zweierkandidatur. Leon Schlumpf (Foto) gelang die Wahl gegen Werner Martignoni. Keystone/Arno Balzarini
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Bild 2 von 2Legende: 1984 machte es die FDP ebenso: Sie stellte den Aargauer Bruno Hunziker und die Zürcherin Elisabeth Kopp zur Wahl. Kopp wurde gewählt und war die erste Frau im Bundesrat. Keystone/Str
Doch die eigentliche Zäsur erfolgte erst 1993. Hunderte von Frauen demonstrierten damals auf dem Bundesplatz gegen die Nichtwahl von SP-Kandidatin Christiane Brunner. Danach präsentierte die SP ein Zweierticket mit Ruth Dreifuss und Christiane Brunner.
Damit begann die bis heute übliche Ära der offiziellen Bundesratstickets mit meistens mehreren Kandidierenden, von denen in der Regel eine Person jeweils gewählt wird.
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Bild 1 von 3Legende: Umstrittene Bundesratswahl 1993: Die SP wollte als Ersatz für Bundesrat René Felber eine eigene Bundesrätin: Christiane Brunner. Doch die bürgerliche Mehrheit wählte SP-Nationalrat Francis Matthey. In mehreren Schweizer Städten kommt es zu Protestaktionen. Keystone/Str
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Bild 2 von 3Legende: Auf Druck der SP und der protestierenden Frauen zog sich Matthey schliesslich zurück. Keystone/Str
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Bild 3 von 3Legende: Eine Woche später präsentierte die SP ein Zweierticket: Christiane Brunner (rechts) und Ruth Dreifuss (links). Letztere wurde schliesslich gewählt. Keystone/Karl-Heinz Hug
«Diese Unfälle aus Sicht der Parteien, die es in der Vergangenheit bei Bundesratswahlen gab, sind extrem unwahrscheinlich geworden», sagt Politologe Lutz. Mit Zweiertickets würden Bundesratswahlen viel berechenbarer für die Parteien, sie könnten den Verlauf der Wahl damit selber bestimmen. Und sie verhinderten Retourkutschen unter den Parteien, wenn alle die Offiziellen wählen.
Ein einziges Mal wählte das Parlament jedoch nicht die beiden offiziellen SVP-Kandidaten auf dem Ticket, sondern Samuel Schmid. Übergangen wurden die beiden damaligen Regierungsräte Rita Fuhrer und Roland Eberle.
Heute würden vor allem Kandidierende aufgestellt, die möglichst allen passen müssten, sagt Roland Eberle: «Man will Leute wählen, die man dann auch beeinflussen kann, die man als Marionette einsetzen kann. Man muss total berechenbar sein, man muss in der politischen Agenda einzelner Parteien genehm sein. Das ist meines Erachtens nicht die Aufgabe eines Bundesrats.»
Eberle kritisiert, dass Tickets die Wahlfreiheit der Bundesversammlung stark einschränkten. Wenn sich das Parlament weiter so verhalte, nehme es seine Verantwortung nicht wahr.
Man will Leute wählen, die man dann auch beeinflussen kann, die man als Marionette einsetzen kann.
Das Parlament sei verantwortlich dafür, Bundesräte zu wählen, die wichtige Voraussetzungen für das Amt erfüllen würden. Für Eberle sind das vor allem ausgeprägte Führungserfahrung, Führungsstärke und Eigenständigkeit.
Er hält es für falsch, dass man im Parlament die Freiheit nicht mehr hat, auch Kandidatinnen und Kandidaten ausserhalb des Tickets zu wählen. So würden Bundesratswahlen stark eingeschränkt und nicht immer die Besten gewählt.