Die Anklageschrift ist kurz und klar: Der heute 34-jährige Angeklagte soll im Sommer 2010 in Breitenbach (SO) seinen zwei Monate alten Sohn erstickt haben, als dieser im Laufgitter lag. Das Baby verstarb. Im Jahr 2012 soll der gleiche Mann dann seine ebenfalls erst wenige Wochen alte Tochter so stark geschüttelt haben, dass sie ein Schütteltrauma und Blutungen erlitt und operiert werden musste.
Die Anklage fordert eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung und mehrfach versuchter vorsätzlicher Tötung. Der tragische Fall wird seit Dienstag vor einem Gericht in Solothurn verhandelt.
Allerdings: Der Mann beteuerte stets seine Unschuld. Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf Indizien. Unter anderem auf abgehörte Gespräche und Gesprächsprotokolle von verdeckten Ermittlerinnen und Ermittlern. Nicht weniger als sechs verdeckte Fahnder setzten die Behörden nämlich auf die junge Familie an. Eine juristisch hoch umstrittene Aktion, die vor rund drei Jahren zu landesweiten Schlagzeilen führte.
Nicht der Angeklagte im Fokus, sondern die Polizei
Die damalige Frau des Angeklagten und er selbst hatten bei den Einvernahmen nämlich von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Darauf wurden nicht nur die Privaträume der Familie verwanzt, sondern es wurden auch Polizistinnen und Polizisten in deren Privatleben eingeschleust.
Die Verteidigerin des Angeklagten machte schon zu Beginn des Prozesses klar, dass aus ihrer Sicht die verdeckten Ermittlungen viel zu weit gingen. So hätten die vermeintlichen «Freunde der Familie» die damalige Frau des Angeklagten zum Beispiel durch Alkohol redselig gestimmt. Das sei «perfid».
Die verdeckten Ermittler gingen eindeutig viel zu weit in diesem Fall.
Am ersten Prozesstag sagte zuerst der zuständige Führungsoffizier aus, ein Beamter der Bundespolizei Fedpol. Er betonte, dass sich seine Ermittlerinnen und Ermittler immer an die geltenden Regeln gehalten hätten. Und auch die V-Leute selbst traten vor das Richtergremium.
Beamte müssen sich vor Gericht erklären
Sie nannten sich «Andy», «Sofie» oder «Sandra». Zugeschaltet per Video, hinter Milchglasscheiben versteckt und nur mit verzerrter Stimme hörbar – so, dass ihre Anonymität gewahrt bleibt. Sie bereue diesen Einsatz nicht, habe nur ihren Job gemacht, erklärte zum Beispiel «Sofie» vor Gericht.
Ihr Auftrag sei es gewesen, eine Freundschaft mit der damaligen Frau des Angeklagten aufzubauen. Dazu gehörten private Abendessen oder ein Ski-Weekend. Alle befragten Beamten betonten, sie hätten den Angeklagten und seine damalige Frau aber niemals unter Druck gesetzt.
Denn das ist der springende Punkt bei diesem Prozess: Verdeckte Ermittler dürfen Informationen nur «passiv» entgegennehmen (vgl. Kasten). Sie dürfen niemanden zu Aussagen drängen, die man in einer normalen Vernehmung nicht auch machen würde.
An diese Vorgaben hätten sich seine Leute gehalten, beteuerte auch der Polizeioffizier. Die Aussagen der Beamten sind deshalb wichtig, weil sie wohl darüber entscheiden, welche Indizien und Beweise der Staatsanwaltschaft überhaupt zugelassen werden. Das Amtsgericht Dorneck-Thierstein hat damit eine heikle und sehr grundsätzliche Frage zu beurteilen.
Der Beschuldigte selbst blieb am ersten Prozesstag ruhig. Er sass in Freizeitbekleidung vor dem Gericht und sagte kein Wort. Eine verdeckte Ermittlerin sagte, die Kindesmutter habe ihr erzählt, der Beschuldigte habe «zwei Gesichter». Er könne rabiat werden. Ansonsten erfuhr man nicht viel über ihn. Seine Befragung ist für den Mittwoch geplant. Es gilt die Unschuldsvermutung.