Der ETH-Wissenschaftler Reto Knutti, einer der führenden Experten für den Klimawandel, ist der letzte Redner am ersten Tag des Stromkongresses. Es wird die mit Abstand engagierteste Rede. «Hören Sie nicht nur als Vertreter der Strombranche zu. Hören Sie zu als Vater, als Mutter, als Bürger!», fordert er die versammelten Entscheidungsträger der Strombranche auf.
Die Politik ist dem Eis egal
Dann zeigt Knutti mit bestechenden Bildern und Grafiken, warum es immer wärmer wird, wie sich das auf die Umwelt auswirkt und was laut dem Stand der Forschung der Mensch damit zu tun hat. «Das Eis schmilzt, wenn es zu warm wird», sagt er. Und er fährt fort: «Es ist egal, ob Sie SVP oder Grüne wählen: Das Eis schmilzt immer zum gleichen Zeitpunkt.»
Deshalb hat der Bundesrat als Ziel null CO2-Emissionen in der Schweiz ab dem Jahr 2050 definiert. «Lassen Sie diese Zahl auf sich wirken», fordert Knutti sein Publikum auf. Denn bei Emission null kommt die Strombranche ins Spiel.
Viel Mut und Willen ist jetzt gefragt
Fahren Autos nicht mehr mit Benzin, sollen sie mit Strom fahren. Wird im Mehrfamilienhaus statt mit Öl via Wärmepumpe geheizt, braucht das auch Strom. Darum muss die Branche viel mehr Ökostrom wie Sonnenergie produzieren.
Ob das rechtzeitig zu schaffen ist, zusätzlich zum Atomausstieg? «Man muss wollen», sagt Knutti. «Wir brauchen den Mut, selber anzupacken, Lösungen und eine Vision zu entwickeln. Und es braucht den Willen, diese auch umzusetzen.»
Knutti erhält grossen Applaus. Spontane Glückwünsche gibt es vom Mitarbeiter eines Rohstoffkonzerns oder einem Vertreter eines Stadtwerks. Dieser meint zu Knutti bloss: «Hammer». Solche Reaktionen hat sich Michael Wider erhofft. Der Präsident des Strom-Dachverbandes hat den Kongress organisiert und sagt: «Die Rede ist hier jedem – zumindest als Bürger – eingefahren.»
Der Erkenntnis müssen Taten folgen
Auch Knutti glaubt im Prinzip an die Wirkung seiner Worte. Die Dringlichkeit des Themas sei inzwischen bei den Menschen wohl angekommen, sagt er. «Doch ich vermisse noch die entsprechenden Handlungen, damit die nötigen Massnahmen umgesetzt werden.»
SVP-Nationalrat Roger Köppel nannte Klimaforscher Knutti einst «Klimaalarmist» und benutzte dabei auch das Wort «Aberglaube». Doch Knutti, der ETH-Professor, ist nicht der Typ, der sich von so etwas beirren lässt. Er macht weiter mit seinen Auftritten – in der Hoffnung, dass der Erkenntnis auch Taten folgen.